Meine Frau hat nun schon viel geschrieben, mitgeteilt und ihren Gedanken freien Lauf gelassen. Diese teile ich ebenso, doch möchte ich nun auch das Wort ergreifen und meine Gefühle darlegen.
Ich erinnere mich noch an den Tag an dem alles begann, als wäre es erst gestern gewesen. Ich hatte Resturlaub und aufgrund Lina’s Symptome ließen wir Lina lieber aus dem Kiga. Ich vereinbarte einenTermin beim Kinderarzt erst am späten Nachmittag, so dass wir den ganzenTag mit Spielen und dem Bauen eines Hochbeetes für Mama miteinander verbrachten. Lina war an dem Tag wieder sehr sehr merkwürdig drauf und ich weiß noch genau wie wackelig sie mir beim Einpflanzen und Blumengießen geholfen hat.
Selbst da ist mir sowas noch nicht in den Sinn gekommen. Warum auch … an eiine schlimme Krankheit denkt man ja nicht, schon gar nicht an eine todbringende. Erst als ich mit Lina im Behandlungszimmer auf den Doc wartete, vermutete ich schlimmeres als einen “Schnupfen”. Und als ich das Gesicht des Kinderarztes sah, wusste ich, das dies mit ein bißchen Nurofen nicht getan sein wird.
Mit einem unguten Gefühl und der gepackten Tasche kamen wir am Südklinikum an. Und wenn die Zeit und die Hindernisse bis zu den finalen MRT-Bildern schon grausam waren, das Ergebnis war die blanke Katastrophe. Es versetzte mich an den Rand meines Bewusstseins. Mein Hals schnürte sich zu und ich versuchte mich irgendwo festzuhalten. Ich wollte am liebsten schreien, einfach nur schreien, so laut wie es nur ging. Doch selbst das gelang mir nicht. Nadine rannte raus, Luft holen und mit sich sein. Mir schossen Millionen von Bilder durch den Kopf. Alles und auch wieder nichts, aber alles in Sekunden und hinter einem Nebelvorhang. Ein großes Mischmasch aus Angst, Entsetzen, Wut, Trauer, Leere, Dunkelheit, Stille.
Aber Lina lag da, friedlich und sichtbar entspannt von der anstrengenden Nacht, nichtsahnend was mit ihr los ist und was jetzt passieren würde. Zu diesem Zeitpunkt war es uns auch noch nicht bewusst was noch alles geschehen wird. Nur eines wussten wir schon: unser Engelchen, unser 6er im Lotto, wird nie mehr wieder gesund.
Schlaf war egal, so dass sich auch Nadines Mutter auf den weiten Weg aus NRW machte um am morgen da zu sein, um Trost zu spenden und uns ihre Unterstützung zu geben. Die Anrufe bei meinen Eltern und bei meiner Schwester waren die Hölle und es war mir, sorry, scheiss egal, was die Schwestern auf der Intensivstation darüber sagten warum plötzlich hier 5 Personen bei Lina im Zimmer waren. Nun ja, “Süd” halt …
Die kommenden Tage, ob die Biopsie, die ganzen Untersuchungen, die Zugänge an allen erdenklich Stellen, waren unendliche Qualen für mein Mäuschen und für mich. Wie soll man es auch seinem Kindchen erklären, was da gerade mit ihr passiert? Und auch warum? “Warum piekst die mich.” Ihr angstverzerrtes Gesicht werde ich nie wieder vergessen.
Irgendwann sind Monika (Nadines Mutter), Lilly und ich zum Besuch nach Erlangen gefahren. Während Monika mit Lilly zur Besuchsuntersuchung ging, öffnete ich mein Handy und sah die Nachricht von Nadine. Bis dahin hatte man noch ein Fünkchen Hoffnung, doch das wurde beim Lesen des Textes zerstört. Lina wird sterben … auf jeden Fall … kein Entkommen mehr … keine Chance … 0,0 %.
Man will aufwachen! Kneif mich, ich will raus aus diesem Tage andauernden Albtraum, der genau eine Sekunde nach dem man erwacht anfängt und bis zum Schließen der Augen am Abend anhält. Bis dato hatte ich zum Glück, noch keine Albträume in der Nacht. Mittlerweile schon.
Ich konnte nicht mehr stehen, setzte mich auf den Gehsteig und weinte vor all den Leuten, die an mir vorbeigingen. Das war wohl der Moment, in dem man aufgibt, in welchem man nicht mehr leben möchte. Und sich auch von dem Herren im Himmel trennt. Es kann ihn nicht geben! Warum nimmt er sie uns weg? Sie hat niemanden etwas getan. Selbst Spinnen will sie retten und gibt jedem der in Not ist, was von sich ab. Sie ist wundervoll und der Moment, in dem ich sie zum ersten Mal im Arm halten durfte, war der allerschönste in meinem Leben! Und das sollte bald enden?
Irgendwann kam eine Frau, gab mir ein Taschentuch und half mir auf. Zum Glück, denn in dem Moment kam Monika und Lilly wieder und meine kleine Tochter sollte natürlich noch nichts davon mitkriegen.
Die Besuche im Krankenhaus waren und sind immer noch wundervoll. Wenn man überhaupt positiv darüber sprechen kann. Im Krankenhaus bei Lina zu sein ist unbeschreiblich wertvoll. Jeder Tag ist wie ein Countdown, der abläuft und wir wissen nicht wo wir stehen. Unter 200 Tagen oder schon unter 100 Tagen? Die Ärzte können uns natürlich keine exakte Prognose geben, doch wie sich alles anfühlt, ist es schon sehr nahe. Und deswegen klingt es absurd, aber außen, in der laufenden Welt ist es furchtbarer! Die ersten Tage war Nadine bei Lina und ich kümmerte mich um Sachen wie Lilly, Krankenkasse, Versicherungen und auch um unser kaputtes Auto. Sachen, die zwar wichtig waren, sich aber falsch anfühlten und einen immer wieder zum Weinen brachten und heute immer noch bringen. Jeden Morgen der Spießrutenlauf im Kiga, den Platz von Lina sehen zu müssen, ihre Matschhose dort hängen zu sehen, wohl wissentlich, dass sie diese nie mehr anziehen wird um mit ihren Freundinnen im Garten in die Pfützen zu springen. Ihre Hausschuhe stehen noch fein säuberlich an ihrem Platz. Sie schauen so alleine aus, so zierlich und so unberührt von all dem.
Ich bin nicht gerne alleine, grundsätzlich nicht, und ich war froh dass Monika die meiste Zeit bei mir bzw. bei uns war. Um mit ihr zu reden oder auch zu weinen; uns bei der Betreuung mit Lilly zu unterstützen, zu ergänzen… Dafür danke ich ihr!
Und das mit dem Spießrutenlauf sollte man bitte nicht falsch verstehen. Ich habe am ersten Tag bereits gewusst, das man Hilfe braucht. Männer machen doch immer einen auf cool, so wie “mir kann keiner was”. Aber jetzt ist es etwas anders. Jetzt ist man verletzlich, man blutet und man braucht Hilfe. Ich nehme sie auch an. Ob psychologisch, physiologisch oder auch nur ein offenes Ohr. Und wenn ich nicht an das Telefon gehe oder nicht gleich antworte, dann ist das so. Und wenn ich auch nicht darüber reden möchte, gebe ich das auch unweigerlich zu verstehen. Alle, die uns helfen wollen, danke ich von ganzem Herzen und ich sage auch, das die Zeit noch kommen wird, in welcher ich darauf zurückkommen werde. Und die wundervolle Unterstützung, welche bei uns bereits angekommen ist, hilft uns bei Lina zu sein um sie in den Arm zu nehmen, zu streicheln und sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten.
Auch ein großes Dankeschön geht an meine Arbeit. Wir fanden eine Lösung wie ich bei meiner Tochter weiterhin sein darf und meine Kolleginnen und Kollegen fangen meine Arbeit auf. Ihr seid wunderbar!
Meine Frau und ich haben ja die Intention, Lina nach ihrer noch 3 Wochen andauernden Bestrahlungsphase noch viele schöne erlebnisreiche Stunden schenken zu dürfen. Das ist ja auch der Hauptgrund warum wir Lina diese ganze Sch*** hier zumuten. Die dann folgende Regenerationszeit soll 4 Wochen lang sein und da wollen wir, sollte es ihr Zustand erlauben, ihr zeigen wie toll und bunt die Welt doch ist. Und um ihr zu zeigen, dass wir sie lieben und sie nie alleine sein wird.
Gerade eben habe ich sie hier im Krankenhaus geduscht, geföhnt und hübsch frisiert. Sieben Wochen nach dem Anfang und ca. drei Wochen Chemotabletten beginnt es … ihre langen wundervollen braunen Haare fallen aus.