29. September – abends
Da war sie …
Lina stellte die Frage, welche nie ein Kind seinen Eltern stellen sollte.
Unser Mäuschen lag in ihrem Bett, sah was im Fernsehen an, meine Frau saß dabei. Ich kam gerade aus der Küche dazu und hörte noch die letzten Worte:
“Mama, ich glaube das ich bald totgehen werde!”
Oh mein Gott, mir drehte sich der Magen in dem Moment um!
Nein, hat sie das wirklich gerade gefragt?
Ich sah Nadine an, konnte das Entsetzen und den Schock in ihren Augen sehen und setzte mich auf die andere Seite des Bettes.
Zum Glück war gerade eine Freundin von Nadine da, welche Lilly zu sich rief und sie somit aus der Schusslinie nahm.
Meine Frau und ich hatten uns bereits vorher schon mal Gedanken gemacht, was wir ihr sagen wollen, bzw. wie wir das Thema Tod und das “danach” ihr näher bringen sollen. Es war allerdings zu früh und bei weitem nicht der richtige Moment ihr die Wahrheit zu sagen (wann ist schon der richtige Moment für sowas?)
Wir selber haben in gewisser Weise mit Gott, dem Garten “Eden” oder mit dem ach so tollen Himmel abgeschlossen.
Doch unserem Kind wollten wir diese Gedanken und Gefühle näher bringen. Sie sollte einen positiven Eindruck, ein schönes Gefühl von dem Leben nach dem Tode haben.
Also erzählten wir ihr von dem wundervollen Himmel, wo es keine Krankheiten gibt, man keine Schmerzen mehr hat, sich wieder gesund und wohl fühlt. Alles Schlechte und Böse bleibt am Boden … aber auch der Körper.
Denn es gibt mehr als nur den Körper … nämlich Du … Deine Gedanken, Deine Gefühle, das was Dich so besonders macht und was Du bist!
Und davon, dass man dort auch wieder Fahrradfahren kann, Spass hat und alles machen kann was sie momentan nicht kann.
Relativ schnell waren wir in der Lage diese Frage nicht “größer” werden zu lassen, aber wir hatten ein unruhiges Gefühl … Ahnt sie mehr als wir glauben?
Ich glaube auch, dass sie selbst sehr viel nachdenkt warum es nicht besser wird … seit dem 28. März leidet sie ja nun …
… war 33 x in der Bestrahlung und wurde 33 x hierzu mit Propofol sediert
… hatte um die 8 MRT’s und musste hierzu mit Propofol sediert werden
… hatte um die 10 CT’s und musste hierzu mit Propofol sediert werden
… hatte 4 größere Operationen am Herzen, am Kopf und am Bauch
… es hängt ein Schlauch aus ihrer Brust
… die Hälfte ihrer Haare wurde 2 x abrasiert
… hatte so viele Untersuchungen wie Ultraschall, EEG, Kardio, Röntgen aufgrund ner Zyste, dem Thrombus, der bakteriellen Entzündung im Bauch
… etc., etc.
und es wird ja nicht besser … eigentlich klar das irgendwann die Frage von ihr kommen musste. Ich hätte sie vermutlich viel früher gestellt.
Wollte sie eventuell UNS schützen und hat nie zuvor gefragt?
Mit Sicherheit hat sie unseren Kummer bemerkt …
obwohl wir hier Tag für Tag auf gute (nicht heile) Welt machen?
… und das ist schon schlimm genug.
Es fiel unglaublich schwer … unsere Worte … und dass man dabei in ihre liebevollen Augen schauen muss.
Nadine liefen ein paar Tränen runter … ich konnte es glücklicherweise vermeiden.
Nach 5 Minuten war es vorbei, sie lachte wieder und wollte weiter fernsehen.
Doch diese Minuten haben sich für ewig in unser Gedächtnis gebrannt!
Lina sollte uns nie diese Frage stellen! Niemals …
Es wird wohl aber nicht bei dieser einen Frage bleiben …
Das schlimmste steht uns und ihr erst noch bevor …
Das hat sie alles nicht verdient! Wir lieben sie.