Das waren die Worte die ich zu meiner Tochter sagte als alles anfing … Worte, die ich nie vergessen werde, Worte die mich mein Leben lang verfolgen werden.
Doch … an diesem Schnupfen wird meine Tochter sterben, weil es kein Schnupfen ist sondern eine heimtückische „Kinderkrankheit“, die fast ausschließlich Kinder ab dem 4. Lebensjahr bekommen.
DIPG … 4 Buchstaben und die Welt hebt sich für uns aus den Angeln … Nichts ist mehr so wie es war … alles schwarz. Der Tod steht plötzlich vor unserer Tür. Aber das haben wir noch nicht verstanden … Kann man das jemals verstehen?
„Diffuses intrinsisches Ponsgliom“ – So heißt das Monster mit vollen Namen. Ein Hirntumor im Hirnstamm meiner 6 jährigen Tochter … inoperabel. An einer Stelle die im Hirn fast alles koordiniert … einschließlich der Atmung. Eine Operation wäre der sichere Tod … keine Operation aber auch … nur nicht heute.
Mit einem Schnupfen fing alles an. Montags. Donnerstags war er immer noch da und Freitags fiel uns auf das sie undeutlich sprach und irgendwie manchmal komisch ging. Aber nichts worüber wir uns starke Sorgen machten … allzu deutlich hatte sie nie gesprochen und sie war auch unser lieber kleiner Tollpatsch. Sonntags war es auffällig komisch – sie fiel zudem auch jetzt ab und zu aus dem Nichts um.
Gleich am Montag wurde ein Arzttermin ausgemacht und ich fuhr geschäftlich und leicht besorgt Richtung Österreich. Lina baute mit Papa ein Hochbeet für Mama als Überraschung …
Abends die Rückmeldung vom Papa: Der Kinderarzt sagt da stimmt was nicht … das könnte alles sein, auch ein Schlaganfall. Mit wehenden Fahnen und vielen Tränen brach ich da unten ab und bretterte wie eine Geisteskranke ins Klinikum. Um 21:00 Uhr kam ich endlich an und Lina hatte schon einen Zugang und ein Bett bekommen. Aber es standen noch alle Untersuchungen an. Die kleine Schwester konnten wir Gott sei Dank bei einer Freundin parken, die auch gerade sehr schlechte Nachrichten über ihren Gesundheitszustand bekommen hatte und somit waren wir für die Nacht safe.
Die Krankenschwester sagte uns noch dass ein 6 jähriges Kind auch gut alleine bleiben könnte und wenn wir uns dagegen entscheiden, würden uns Kosten entstehen … sie konnte keine Mutter sein!
Lina sollte in die Röhre … sie wollte aber nicht! Sie erstarrte förmlich vor Angst während alle mit Engelszungen auf sie einredeten. Und dann dieser Blick: „Mama, hilf mir!“
Es half nichts … alles wurde abgebrochen und ein CT stand zur Auswahl. Die Ärztin bestand aber auf ein MRT und Lina wurde das erste mal mit Propofol -Michael Jacksons „Schlafmilch“ -sediert. Das sollte nicht das letzte mal gewesen sein …
Gefühlte Stunden saßen wir sorgenvoll und ängstlich vor der Tür, während unsere kleine Maus doch in die für sie so beängstigende Röhre musste. Drinnen hörten wir die Stimmen reden und die Sprachfetzen, welche wir bei unseren Lauschangriffen aufschnappten, versprachen irgendwie nichts Gutes. Lina wurde dann auf die Intensivstation verlegt und man versprach uns, das sei eine reine Vorsichtsmaßnahme wegen der Sedierung. In unseren Mägen drehte sich trotzdem alles und der Kopf schrie immer nur HIER STIMMT DOCH WAS NICHT! Die ersten mitleidigen Blicke trafen uns und ich versuchte das absolut miese Bauchgefühl zu ignorieren. Wieder gefühlte Stunden später – es war mittlerweile wirklich halb 2 Uhr morgens – kam dann die Anästhesistin (nicht die Ärztin) wieder zu uns und fummelte Ewigkeiten an den Bildern vom Kopf unserer Maus herum um das „schönste Bild“ herauszusuchen… und ich dachte nur „werd jetzt endlich fertig du dumme Kuh“!
Dann fiel plötzlich das erste mal das Wort TUMOR! WAS??? Tumor??? Gehirntumor??? Was??? Dann fielen noch ganz viele Worte, aber die kamen bei mir nicht mehr an. Tumor??? Krebs??? Nein, sowas trifft doch immer nur die anderen! Oder die im Fernsehen! Aber doch nicht uns! Doch nicht ein Kind … doch nicht MEIN Kind!!!
Ich fiel in eine Blase aus der ich jetzt – 13 Tage später noch nicht erwacht bin. Ich guckte mich um und sah in viele Gesichter, die alle irgendwie eine Reaktion von mir erwarteten … ja wie reagiert man den standesgemäß? Klar heulen … das tat ich ja sowieso schon den ganzen Abend. Ich musste da raus! Draußen … ja was sollte ich draußen? Hilft ja auch nix … pure Verzweiflung ergriff mich. Ich rief meine Mutter an und sie machte sich morgens um 3 Uhr auf den Weg in unsere 500 km entfernte Heimat. Hektik ergriff mich … ich muss meine Zeit nutzen … sie braucht mich … ich brauche sie! Ich musste wieder rein zu meinem Kind und legte mich in ihr Kinderkrankenbett.
Die ersten Psychologen kamen und ich schaute sie nur ratlos an … was soll ich denen denn erzählen? Ändert das was? Ist das ganze hier überhaupt wahr. Und ständig diese Gesichter die Mitleid zeigen und eine Reaktion von mir erwarten. Wohin kann ich laufen und endlich aufwachen?
Ich weiß nicht mehr wann Lina aufgewacht ist oder was genau die nächsten Stunden passiert ist bis endlich die Nacht aufhörte und die Sonne in der Nase kitzelte. Der Frühling fing an und es sollte richtig gutes Wetter werden. Vielleicht war es ja doch ein Traum? Jetzt ist es doch endlich hell! Kommt, lasst uns nach Hause gehen und diese furchtbare Nacht einfach vergessen!
Nein, das geht nicht … die Maschinerie läuft an. Ich glaube, wir waren nicht die beliebtesten Gäste auf der Station weil dann irgendwann meine Mutter und Schwiegereltern eintrudelten. Das war ja immerhin die Intensivstation, wo kein Besuch erlaubt ist. Das taten die Schwestern vor unserem Zimmer auch in lauten Lästereien kund.
Um 13 Uhr sollten wir mit dem Krankenwagen in die Uni Klinik Erlangen verlegt werden. Mein Magen hatte sich mittlerweile mehrmals entleert und bei einem Blick in den Spiegel merkte ich, dass ich so meinem Kind nur noch mehr Angst machen würde. Ich legte Schminke auf und seitdem Zeitpunkt spiele ich die Rolle meines Lebens. Im Krankenwagen werden Handschuhe aufgepustet und Elefanten daraus gebaut, der Infusion Ständer wird als Skateboard missbraucht, im Keller werden heimlich Rolli Rennen gefahren ….
Alles um der Maus die Angst zu nehmen und selbst nicht denken zu müssen.
In Erlangen angekommen, wurden wir toll empfangen und fühlen uns bis heute dort super aufgehoben. Schwester Svenja nahm mich unbekannterweise gleich in den Arm und die Ärzte kümmerten sich auch gleich um uns.
Sie werden immer ehrlich zu uns sein, sagten sie.
Es wurde für Donnerstag eine Hirnbiopsie festgelegt, wo sie 3 kleine Stücke vom Tumor entfernen würden, um sie zu untersuchen. Dann folgten die schlimmsten Aufklärungsgespräche die Eltern auch nur führen können. Wir unterschrieben alles und ich suchte heimlich die imaginäre Nadel, die diese verdammte Blase endlich platzen ließ. Mein Hirn wollte nichts mehr aufnehmen … nur ihren Tumor … den hätte ich gern genommen!
Ich schlief die Nacht wieder bei Lina im Kinderkrankenbett … obwohl das Wort Schlaf maßlos übertrieben ist? Schlafen? Essen? Was? Ich soll meine Zeit mit sowas vergeuden … ich möchte all meine Zeit mit meinem Kind verbringen! Irgendwann sagte Lina zu mir „Mama … ich hab Dich ja lieb, aber jetzt musst Du aus meinem Bett … mir ist zu warm.“ Oh … okay … wenn du das willst … du kriegst jetzt ALLES was Du willst! Bloß nicht laut aussprechen!