Perspektivenwechsel Teil 1

Hallo

mein Name ist Lina Marie Meier, meine Mama nennt mich immer Prinzessin, Engelchen oder kleiner Mupp… meine Freunde nennen mich oft Linchen… das mag ich eigentlich alles, weil es sich so niedlich anhört.

 

Ich bin am 6. Dezember 2010 geboren … am Nikolaustag, und heute ist mein Geburtstag!

Ich bin ganz stolz, weil ich schon 8 Jahre werde und eigentlich schon richtig groß bin. Leider kann ich nicht mit meiner Familie und meinen Freunden feiern, weil ich letztes Jahr 6 Tage nach meinem 7. Geburtstag gestorben bin.

Anfangs habe ich das alles gar nicht so verstanden… es passierte alles irgendwie so schleichend und doch so schnell. Manchmal fühlte ich mich nicht wohl und mir war schwindelig, aber ich sagte es keinem. Dann lief meine Nase ganz fürchterlich und ich sagte meinen Eltern, das ich mich krank fühlte. Die konnten aber nichts feststellen und meinten, wenn ich kein Fieber bekommen würde, wäre es “nur ein Schnupfen” und das wäre nicht schlimm. Ich durfte weiter in den Kindergarten, aber irgendwie war etwas anders. Freitags hörte ich Mama und Papa sagen, das ich komisch aussehen würde und wir doch lieber zum Arzt gehen sollen… wir wollten ja 2 Wochen später in den Urlaub fliegen. Aber freitags nachmittags war es schon zu spät. Zwischenzeitlich ging es mir immer gut und ich durfte mit Lilly auch Fernseh gucken, aber als ich aufstand, fiel ich einfach um… so als wäre ich gestolpert. Auch das hab ich gar nicht verstanden, denn da war mir gar nicht schwindelig. Wisst ihr… ich hatte da nämlich so einen Trick: Die Schwindelblubberblasen fangen immer zuerst an in meinem Bauch zu rumoren und wenn ich dann meinen  Bauch ganz doll schüttel, gehen die wieder weg! Ich hatte später ganz viele solche Tricks, damit ich schlafen oder sitzen konnte! Ich habe mich irgendwie mit der neuen Situation angefreundet und hab gelernt damit umzugehen. Aber es wurde nicht besser…

Mama war auf dem Kinderflohmarkt und brachte uns jedes mal etwas ganz Tolles mit… dafür mussten wir ihr auch immer etwas von unserem Spielzeug mitgeben, damit sie das gegen etwas cooleres eintauschen konnte. Diesmal waren es Inline Skates! Boah… hab ich mich gefreut! Lilly hat auch welche bekommen und wir haben es gleich versucht. Lilly hat es eigentlich ganz gut hinbekommen, aber meine Beine waren wie Gummi… sie sackten mir immer ganz kraftlos weg. Mama, Papa und Lilly lachten weil das komisch ausgesehen haben muss… das fand ich gar nicht lustig. Jetzt hatte ich keine Lust mehr… ich konnte doch auch nichts dafür!

Am nächsten Tag durfte ich nicht in den Kindergarten… Papa blieb bei mir und wir arbeiteten im Garten und fuhren Fahrrad. Aber auch das klappte nicht mehr… ich versteh das nicht: meine Beine waren wie Blei und ich konnte auch nicht mehr so richtig gucken. Ich bin dann gegen ein Pfosten gefahren, aber Papa hat auch gar nicht geschimpft. Manchmal war ich nämlich ein bisschen schusselig, aber ich glaube ihm kam das jetzt genauso komisch vor wie mir…am Freitag war es doch nur ein Schnupfen gewesen!

 

Abends fuhren wir zu unserem Kinderarzt. In ihn bin ich immer ein bisschen verliebt, weil es auch immer Gummibärchen gibt… ich liebe Gummibärchen!!! Aber heute guckte er mich anders an… und Papa auch. Papa sagte mir dann, das wir heute noch ins Krankenhaus fahren würden. Das fand ich spannend! Lilly durfte bei ihrer Freundin übernachten, Papa rief Mama an und sie kam von ihrer Geschäftsreise zurück direkt ins Krankenhaus. Da war es schon ganz spät…

Im Krankenhaus war es dann aber überhaupt nicht so lustig wie gedacht: die haben mich ständig mit Nadeln gepiekt und Blut aus mir gesaugt und mir Schläuche in die Hand gestochen! Da hat auch kein Gummibärchen geholfen! Mama und Papa erklärten mir, das ich jetzt in “eine Röhre” muss, damit sie Fotos vom Inneren in meinem Körper machen können. Ja spinnen die??? Da geh ich niemals rein! Ich hatte eine wahnsinnige Angst und musste gleich weinen… ICH WILL DA NICHT REIN!

Ich habe mich auch nicht überreden lassen… von NIEMANDEM! Also wurde ich wieder auf mein Zimmer gebracht. Es ist ja echt cool, wenn ich lange wach bleiben darf… aber mittlerweile war es schon Mitternacht. Ich war sooo müde und schlief ein… ich merkte noch wie eine Schwester mir etwas in den Schlauch, in der Hand spritzte und dann schlief ich bis zum Morgens durch.

Am nächsten Morgen wachte ich in einem anderen Zimmer auf. Mama lag hinter mir in dem Kinderbettchen und hielt mich im Arm… das mag ich immer sehr. Aber sie sah furchtbar aus… ich glaub sie hatte geweint und ich streichelte ihr über das Gesicht. Wenn ich jetzt “Guten Morgen, Königin!” sage, lacht sie bestimmt wieder…

Papa sagte mir, das ich auf einer Intensivstation sei und wir heute noch mit dem Krankenwagen (JUCHUUU!!) in ein anderes Krankenhaus fahren. Ich weiß ja nicht, was die mir da heute Nacht in die Hand gespritzt haben… aber auf jeden Fall bin ich fürchterlich müde und ich mach mir Sorgen um Mama… und Papa sieht auch gar nicht gut aus.

Als ich wieder aufwache sind Quatsch-Oma und Opa und sogar meine Oma Lucky aus Gütersloh da!!! Das ist ja cool! Leider habe ich gar nicht viel Zeit, denn ich muss jetzt in den Krankenwagen. Da war es cool, das sage ich Euch!!! Die Pfleger haben Handschuhe aufgeblasen und mir daraus Elefanten gebaut!!! Ich fand es super… aber Mami saß neben mir und weinte die ganze Zeit. Oma Lucky und Papa auch, als sie mich in den Krankenwagen schoben…das kommt mir so langsam komisch vor, auch wenn sie alle versucht haben es zu verstecken. Oma und Papa durften nicht in dem coolen Krankenwagen fahren, aber sie wollten gleich in das neue Krankenhaus kommen… die haben echt was verpasst!

In dem neuen Krankenhaus ist es super! Die haben ein richtiges Spielzimmer … mit ganz vielen Bastelsachen, Spielzeug und sogar Musik und eine Tanzfläche! Ich liebe tanzen!!! Leider haben die mir jetzt so einen Ständer mit Schläuchen in meine Hand gemacht und da fliesst ganz viel Flüssigkeit durch. Mama hat dem Ständer einen Namen gegeben: “FIFFI!”

Der piept nämlich ständig und dann dürfen wir ihn ausschimpfen. Sonst zieht Mama ihn hinter uns her, wie einen Hund und manchmal machen wir auch “Fiffi Rennen” im Flur: dann darf ich mit den Beinen auf dem Ständer stehen und Mama schiebt mich… ich kann nämlich komischerweise gar nicht mehr laufen. Das finde ich blöd… aber wenn ich tanzen will, hält Papa mich fest und wir machen die Musik ganz laut.

 

Viele Sachen sind auch gar nicht so lustig hier… Ständig muss ich zu irgendwelchen Untersuchungen und die pieksen mich ständig! Ich erstarre schon vor Angst, wenn sich die Türklinke bewegt und die Männer und Frauen mit ihren Kitteln reinkommen. Dann schreie ich immer ganz laut, das die mich nicht schon wieder pieksen. Meine Hände und Arme sind schon ganz entzündet..

Ich habe Mama deswegen auch gefragt, ob wir nicht einfach wieder nach Hause gehen können… ich vermisse meine Freunde und den Kindergarten sehr. Mama sagte mir, das da was in meinem Kopf ist (haben die mich etwa doch in dieses Röhrending gesteckt, als ich geschlafen hab???) das nennt sich “Tumor” … ich weiß nicht was das ist, aber der macht das wohl, das ich nicht mehr laufen kann. Ich will das nicht haben!… aber Mama sagt auch, das da niemand was dafür kann und besonders ich nicht, dass der da ist. Ich bin froh das ich nichts falsch gemacht habe! Und ich hab die Erlaubnis “Scheiss Tumor” zu sagen… das darf ich sonst nicht.

 

Ich bekomme jetzt jeden Tag ganz viele Tabletten und darf sie mit Yoghurt schlucken… ich hab ja vorher noch nie eine Tablette nehmen müssen und weiß gar nicht wie das geht. Davon bekomme ich wahnsinnigen Hunger und die machen mich manchmal auch so wach und oft wütend… ich weiß gar nicht warum; aber ich habe gestern einen Schuh nach Mama geschmissen, weil sie das Essen nicht so schnell geholt hat. Im selben Moment tat mir das fürchterlich leid und ich musste weinen. Mama und Papa sind immer hier und spielen und basteln ganz viel mit mir… und wenn sie mal das Zimmer verlassen,  drücke ich sofort die Klingel und frag die Schwestern ob sie sie holen können. Das ist cool… wenn ich wieder gesund bin, will ich zuhause auch so eine Klingel. Ich freu mich schon darauf, wenn ich endlich wieder gesund bin und wieder in den Kindergarten gehen darf… davon erzähle ich auch ganz viel.

Heute war ein Doktor da und erzählte mir, dass sie mich am Kopf operieren wollen… er hat mir das ganz genau erklärt. Die pieksen mir durch mein Gehirn, um zu dem Tumor zu kommen und ihn zu untersuchen, aber ich würde dabei schlafen. Das macht mir wahnsinnige Angst… schon wieder pieksen!!! Ich will das nicht! Ich will nach Hause! Wenn Lilly kommt, bin ich oft wütend und eifersüchtig… sie darf im Kindergarten mit all meinen Freunden spielen, kann rennen und tanzen. Lilly ist dann eifersüchtig, weil ich so viele Geschenke bekomme und Mama oder Papa immer soviel Zeit mit mir verbringen… alles doof und wir streiten uns oft… dabei hab ich sie doch lieb. Aber ich habe jetzt immer so eine Wut im Bauch. Mama hat zu einer Schwester gesagt, ich würde mir selbst im Weg stehen und das, das vom Cortison kommt”… ich hoffe das ich bald wieder gesund bin…  ich bin jetzt schon 2 Wochen krank, so lange war ich noch nie krank.

Hier auf dieser Station haben alle Kinder einen Tumor. Manche im Kopf, so wie ich… manche in den Beinen oder manche im Blut. Sie haben alle einen Fiffi.. Einige müssen immer auf ihren Zimmern bleiben, andere müssen ganz viel brechen, aber ganz viele spielen hier auch fröhlich und manche gehen hier sogar zur Schule! Es gibt auch ein Sportzimmer, aber dafür bin ich zu schwach… meine Beine sind immer noch nicht besser und ich habe jetzt einen Rollstuhl bekommen.

Manchmal gehen Mama und ich einfach stiften… wir gehen einfach aus der Tür und fahren mit dem Fahrstuhl in den Keller… da sind ganz viele Gänge und dann fängt Mama an mit dem Rollstuhl zu rennen… bis sie nicht mehr kann! Dann lach ich sie immer aus… das ist lustig! Aber in letzter Zeit macht mir das auch keinen Spaß mehr… Mir wird jetzt dabei immer so schwindelig… das ist so schade! Aber wir haben jetzt ein Tablett gekauft und ich darf im Bett ganz viel fernsehen… das ist auch cool, besonders weil ich nicht mehr aufstehen kann und immer so dolle Kopfschmerzen habe, wenn ich mich bewege. Deswegen schlafe ich auch nur noch im Sitzen.

 

Diese Operation war im übrigen ganz furchtbar!!! Das mach ich nicht noch mal! Als ich wieder aufwachte, habe ich Mama und Papa gesehen… aber ich konnte nicht sprechen, weil ich einen Schlauch im Mund hatte und mir tat der Kopf ganz fürchterlich weh! Dann wurden Mama und Papa auch noch rausgeschickt, die Ärzte zogen mir den Schlauch aus dem Mund und ich schrie ganz doll. Der saß ganz tief in meinem Bauch. Ich konnte auch meinen Kopf gar nicht mehr bewegen… er saß wie angetackert auf meiner linken Schulter fest… Ich musste weinen, denn ich wollte doch so hübsch sein wie meine Mami. Und wenn ich den Kopf nicht mehr bewegen kann, bin ich das nicht! Als ich ihr das sagte, fing sie an zu weinen, weil ich noch sprechen konnte. Anscheinend hatte sie Angst, das ich nicht mehr sprechen  konnte… komisch!

 

Dann schlief ich ganz viel… Den Kopf konnte ich irgendwann wieder bewegen und die Kopfschmerzen wurden auch etwas besser. Kurze Zeit später fing etwas an, das haben sie “Bestrahlung” genannt. Das ist vielleicht doof, sag ich Euch!!!

Jeden Morgen wurde ich mit dem Krankenwagen abgeholt und in eine andere Klinik gebracht… das Schlimmste ist aber: sie haben mir verboten zu frühstücken. Und ich habe doch immer so einen Hunger! Selbst Nachts wecke ich Mama oder Papa, weil ich es nicht mehr aushalten konnte. In der anderen Klinik komme ich dann immer in so einen Raum mit ganz dicken Türen. Dann muss ich mich immer an Mamas Rücken lehnen und sie spritzen mir eine “Schlafmilch” … ich hasse diese Schafmilch!!! Ich habe nachts schon immer Albträume, das ich nicht mehr aufwache… so langsam mache ich mir eh Sorgen, wann ich wieder gesund werde?!  Ich habe jetzt immer schlechte Laune und bin soo müde. Das kenne ich sonst gar nicht. Der Schwindel wird immer schlimmer und ich kann auch gar nicht mehr auf Toilette gehen. Ich muss immer, aber da kommt nichts… die ganze Nacht! Das macht mich so wütend. Papa sagt, das heißt ” Blasenfunktionsstörung” und das würde von dem Tumor kommen. Jetzt muss ich noch mehr Tabletten nehmen… aber ich will doch einfach nur nach Hause und wieder gesund sein….

Sie haben mich auch nochmal operiert… das fand ich gar nicht gut: ich habe jetzt 2 Schläuche aus der Brust gucken, wo die mir die ganzen Medikamente reingeben. Das sieht wirklich nicht schön aus… aber so müssen sie mich wohl nicht mehr ständig pieksen. Darüber bin ich sehr froh! Ich darf jetzt immer am Wochenende nach Hause- wenn meine Werte gut sind – und war sogar letztens im Kindergarten…das war schön! Alle Kinder standen um mich herum und stellten ganz viele Fragen. Das wurde mir dann aber auch zuviel, weil sie alle fragten, warum ich so dicke Backen bekommen habe. Da war ich sehr traurig. Wenn ich in den Spiegel schaue, werde ich ganz ruhig: das bin ich nicht mehr… da guckt mich ein anderes-  ganz dickes – Kind an. Mama schminkt mich immer und dreht mir meine Haare in Locken… aber irgendwie sehe ich ganz anders aus. Manchmal gehen wir hier in dieser anderen Stadt in die Eisdiele… andere Kinder zeigen dann immer auf mich und jeder guckt mich ganz komisch an… das mag ich nicht und es macht mich so traurig das ich weinen muss.

Diese Bestrahlung geht jetzt schon ganz viele Wochen und ich bin deswegen total fertig… ich habe keine Lust mehr zu sprechen, schlafe sehr viel und mein Gesicht ist total verbrannt… mir tut alles weh! Dann war ich auch noch total krank und hab mich hier im Krankenhaus mit einem Virus angesteckt, so dass ich nur brechen musste und Durchfall hatte. Das war ganz schlimm, aber ich musste nicht  mehr jeden Tag zur Bestrahlung. Wenn die Bestrahlung fertig ist fahren wir ins Eurodisney, sagen Mama und Papa. Das wäre toll… aber vorher muss ich nochmal operiert werden. IM KOPF! Der Tumor drückt wohl in meinem Kopf so einen Kanal zu und mein Hirnwasser kann nicht mehr rund durch meinen Körper fließen.. Wenn das dann platzt wird es ganz gefährlich. Ich würde jetzt so einen “Shunt” bekommen, der das wieder heile macht und dann hätte ich auch keine Kopfschmerzen mehr… mir ist das alles mittlerweile egal… ich habe jeden Tag schlechte Laune und will eigentlich nur noch schlafen.

Die Ärzte sagen,  das sie mir bei der Operation ein Stückchen von meinen Haaren wegrasieren müssten, damit sie mir das unter die Haut in meinem Kopf einsetzen können. Als ich wieder aufgewacht bin , hat Mama ganz fürchterlich wegen meinen Haaren geweint. Sie sagt immer, ich habe die schönsten Haare der Welt. Sie erzählte mir wie viel weg war und ich tastete… aber ich konnte nur die vielen Pflaster fühlen. Dann sagte sie, sie macht sich jetzt auch so einen Haarschnitt und das wäre ganz modern und nennt sich “Sidecut”… wenn ich das will… Als sie mir den Spiegel gab war ich ganz verwundert:  “Mein Gott… was stellt die sich denn so an?! Mama! Meine Haare wachsen doch wieder!”, tröstete ich sie- und bald bin ich wieder so schön wie Du!” Ich fand meine dicken Backen viel schlimmer und wollte nicht, das Mama sich auch die Haare abschneidet. Hier auf der Station haben die Kinder alle keine Haare mehr und ich hab ja noch meine andere Hälfte! Mama kämmt sie mir jetzt immer so, das man das gar nicht sieht.

Die Kopfschmerzen wurden leider nicht besser durch den Shunt, aber die Bestrahlung ging so langsam zu Ende und mir ging es ganz langsam im allgemeinen besser. Es hieß, das ich nach der Bestrahlung nach Hause durfte … für immer! Jetzt waren andere Ärzte für uns zuständig… sie hießen Palliativteam. Die waren alle sehr nett und würden uns von jetzt an zuhause besuchen. Mama und Papa mussten ganz viel lernen, damit sie mit meinen Schläuchen und all meinen Medikamenten richtig umgehen. Ich hatte jetzt auch mein Bett im Wohnzimmer und war nie alleine. Nachts war ich oft wach und sah Mama und Papa am Tisch über ganz vielen Zetteln brüten… wahrscheinlich lernten sie da.

Aber erstmal durften wir ja ins Disneyland!!!! Wir durften sogar mit dem Flugzeug fliegen! Das fand ich super! Papa sagt, es war eine Punktlandung, das wir das zeitlich geschafft haben. Auf dem Hinflug ging es mir noch gut und wir haben am selben Tag sogar noch Pluto kennengelernt und sind mit der Bahn einmal durchs ganze Disneyland gefahren. Abends im Hotel bekam ich dann aber solche Bauchschmerzen, die auch die ganze Nacht nicht besser wurden… ich schrie vor Schmerzen das ganze Hotel zusammen. Mama und Papa wollten mit mir ins Krankenhaus und riefen voller Sorge bei dem Palliativteam an… sie gaben mir andere Medikamente und ich wurde ruhiger und schlief ein… am nächsten Tag waren die Schmerzen etwas besser, aber noch nicht weg und wir gingen erst nachmittags nochmal raus und schauten uns die Parade von oben aus einem Restaurant an… Mir tat jeder Huckel im Rollstuhl weh, aber ich hielt durch. Ich frage jetzt immer und immer wieder nach Schmerztabletten, aber Mama und Papa dürfen mir nicht so viele geben, wie ich gern hätte. Sie haben jetzt auch immer eine Notfalltasche mit allem möglichen Zeugs dabei. Spritzen und irgendwas gegen “Krämpfe” … ich weiß nicht was das bedeutet, aber Lilly und ich dürfen nicht mit den Sachen spielen… das ist doof!

Am nächsten Tag ging es schon viel besser und wir sind jedes Karussel gefahren welches für mich ging! Das war super… wir mussten auch nirgendwo anstehen, weil ich so einen “Superpass” hatte und manchmal durften wir gleich sitzen bleiben und 2 mal fahren… da waren aber alle Kinder neidisch, die mich schräg anguckten… und ich hatte ganz viel Spaß!!! Ich habe sogar Vaiana getroffen… sie ist meine Heldin, weil sie so stark und mutig ist… ausserdem kann sie soo schön singen.

Wie es weitergeht und wie ich dann für immer Mama, Papa und Lilly verlassen musste,erzähl ich Euch im zweiten Teil. Denn ich habe ja heute Geburtstag und gleich wollen sie mich auf dem Friedhof besuchen kommen. Sie sind alle immer so traurig, weil ich nicht da bin… aber heute haben sie Luftballons, Wunderkerzen und Geschenke dabei. Hey… ich habe Geburtstag! Sie sollten sich doch freuen, das es mich gab und wir 6 wundervolle Jahre miteinander hatten.

 

Kleine Füße hinterlassen große Spuren…

Lina ist tot… am 12.12.2017 um 16 Uhr nahm sie ihren letzten Atemzug:
ein letztes Pfeifen, nach fast 24 Stunden Todeskampf, welchen ich niemals aus meinem Kopf bekommen werde. Da war nichts mit sanft Hinübergleiten und eine Regenbogenbrücke habe ich auch nicht gesehen – ich konnte keine Romantik erkennen. Unsere Tochter wurde brutal ermordet, von einem Monster namens DIPG.

Gestern vor 4 Wochen waren wir noch voller Hoffnung:

Ich sagte meinem Schwiegervater das Weihnachten mit ihr nichts im Wege stehen würde und wir in den vollen Geburtstagsvorbereitungen sind. Ihr ging es sooo gut… also ihren Umständen entsprechend: sie malte und bastelte eifrig Schmuck für den Tannenbaum, sie sang und tanzte im Bett, wir konnten ihre Freundin empfangen und die beiden spielten so seelig und vergnügt im Bett. 2 Tage später wurde ihre Sprache stündlich schlechter… wir verstanden sie kaum noch und nutzten die lange spielerisch vorbereiteten Handzeichen aus und machten Neue.

So langsam machten wir uns Sorgen über den bevorstehenden Geburtstag. Sie schlief fast nur noch, die Lähmungen weiteten sich auf den ganzen Körper aus und Sprechen und Schlucken wurden immer schlechter. Seit Tagen hatte sie nur ein paar Mandarinen gelutscht, aber wir schlossen sie ja nachts an die Ernährung an. Gut… was sollten wir tun? Unserer Tochter den letzten Geburtstag, den sie erleben würde, absagen? Sie sprach seit Wochen von nichts anderem…

Wir entschieden uns für den Mittelweg und sagten der Hälfte der Gäste ab. So, dass nur Ihre beiden besten Freundinnen und Kostja, Janin und André kommen würden – die sie so sehr liebt. Sie war ein todkrankes Kind, durch und durch, aber wir brachten es nicht über das Herz alles abzusagen. Lina hat sich tierisch gefreut, auch wenn sie den Nikolaus verschlafen hat und ihr das Feuerwerk zu laut war, haben ihre Augen geleuchtet, da sie in ihren Augen, die Party des Jahres hatte.

Gestern vor 3 Wochen verloren wir die Hoffnung:

Lina hatte wieder starke Schmerzen, konnte nur noch Laute von sich geben und gar nicht mehr schlucken.

Ende Oktober hatte sich herausgestellt das Lina schon immer immun gegen Chemo und Bestrahlung gewesen ist. Es waren 2 kleine Balken in einem Bericht, welchen wir uns nicht übersetzt hatten. 4 und 3 Buchstaben standen da nur: TKTL und apo1. Den ganzen Bericht hatten wir uns in nächtlichen Stunden auf normalsterbliche Art übersetzt, aber diese blöden Buchstaben hatten wir einfach übersehen.
Da stand es aber; rot und gelb: Lina ist resistent gegen alles, auf das wir gesetzt haben. Hätte ich das am Anfang gewusst… ich wäre einen ganz anderen Weg gegangen. Wir haben uns für Methadon entschieden… dafür gekämpft… und deswegen blieben uns viele andere Türen (Cannabis, Morphium) verschlossen. Methadon ist im groben Sinne ein Chemovertärker … aber wenn man gegen die Chemo resistent ist, hilft auch ein Verstärker nicht! Wir haben uns an 4 Stellen rückversichert, ob dem wirklich so sei –
und dem war so!

Fakt ist… die wichtigste  Info, im gesamten Krankenverlauf bekommen wir, wenn es zu spät ist und alles war umsonst!

Wir sind schier durchgedreht. Nach mehreren Telefonaten mit einem Professor in Berlin bin ich in einer Nacht und Nebelaktion dorthin gefahren… bewaffnet mit allen Akten und voller Hoffnung. (Ach, London hat sich, im Übrigen, bis heute nicht gemeldet…)

Ich hatte mich natürlich schon informiert und wusste worauf es hinauslaufen würde: Thalidomid- besser bekannt als Contergan. Ein, in Deutschland nicht zugelassenes Medikament, was den meisten ja noch aus dem Skandal in den 60er Jahren geläufig ist. Thalidomid hat eine zellhemmende Wirkung und wird seit Jahren schon erfolgreich in den USA gegen Lepra wieder eingesetzt.
Prof. Dr. Vogel darf es hier in Deutschland verschreiben und zeigte mir einige Bilder von DIPG Kids; welche mittlerweile 22 Jahre sind. Er ist auch der einzige, der sich an eine Operation von einem Ponsgliom herantraut und hat wohl schon 100 Fälle operiert.

Ich fragte nach den Chancen von Lina… zu dem Zeitpunkt ging es ihr ja noch sehr gut, und er sagte sie hätte eine 30%ige Heilungschance. HEILUNG!!! Das Wort hatten wir noch nie im Zusammenhang mit DIPG gehört. Ich hielt Rücksprache mit meinem Mann und wir kauften in einer Apotheke in Berlin das Thalidomid. Man bekommt es nur in dieser einen Apotheke in Berlin und so waren wir auf der sicheren Seite und hatten es für den Fall der Fälle da.

Da wir aber einfach rational und überlegt sind, verabreichten wir es ihr noch nicht und holten uns noch weitere Informationen ein. Womit wir wieder zu dem Tag kommen an dem wir die Hoffnung verloren. Wie gesagt, Lina ging es immer schlechter – sie hatte starke Schmerzen und wir durften ihr NOCH kein Morphium geben, weil das Methadon erst ausgeschlichen werden muss. Wir hatten es mit der Nachricht, dass sie immun ist, schon langsam rausgeschlichen und sie war bei einer kleinen Dosis. Unser Palliativ Team machte den Vorschlag sie nach Erlangen zu verlegen um es überwacht auszuschleichen – dagegen habe ich mich vehement gewehrt… wohlwissend das sie nicht mehr nach Hause kommen würde.

Mein Mann und ich waren lange unterschiedlicher Meinung wo „ES“ passieren sollte. Ich war der Meinung, dass es für Lina in der gewohnten Umgebung am besten ist… und mein Mann hatte Bedenken, das er dann das Zimmer nicht mehr betreten kann wo seine Tochter gestorben ist. Also überlegten wir in ein Hospiz zu gehen… der Zahn wurde uns aber auch schnell gezogen: Das nächste Kinderhospiz ist im Allgäu – unerreichbar in Linas Zustand – und in einem Erwachsenenhospiz werden keine Kinder aufgenommen, weil es zu verstörend für die Angestellten wäre. Somit war die Entscheidung gefallen.

Wir verabreichten Lina also 2 Tage nach ihrem 7. Geburtstag Contergan.  Erstens: Was hatten wir zu verlieren? Und zweitens ist es ein Schlafmittel und sie bekommt nichts mit… was der weitaus wichtigere Grund für uns war. Jetzt verschlief sie den Tag und das war auch gut so!

Gestern vor 2 Wochen schrie ich dann Gott an „ Nun nimm sie endlich zu Dir, Du A***!“

Lina hatte seit montags endlich Morphium bekommen. Da gibt es einen Knopf wo man zusätzlich alle 20 Minuten einen Obolus geben kann. Ich gab ihr alles! Das Leiden sollte endlich aufhören! Erst wurde sie 20 Stunden von Krämpfen geplagt, so dass ihr kleiner Kinderkörper nur so bebte. Dann starben so langsam die Beine ab und sie Krämpfe waren nur noch im Oberkörper. Das Contergan konnten wir ihr auch nicht mehr geben, weil ihre Zunge aus dem Mund hing und ihr gesamtes Gesicht steif war…. Ich dachte immer- etwas naiv – sie würde vielleicht das Glück haben friedlich einzuschlafen, obwohl ich genug anderes gelesen hatte – aber irgendwann musste mein Kind doch mal Glück haben!? Da war leider nichts mit friedlich einschlafen. Ich werde hier jetzt nicht allzu sehr ins Detail gehen, weil es einfach zu hart ist was dieses Monster meinem Kind angetan hat.

Lina wollte nicht gehen… warum auch? Warum sollte eine gerade 7 jährige ALLEINE alles was sie kennt verlassen wollen? Sie machte aber nochmal ihre Augen auf und fixierte mich für anderthalb Stunden. Ich sie auch… dabei liefen uns die ganze Zeit die Tränen aus den Augen… beiden. Ich sah immer nur ihre kleinen Kinderaugen… dieselben schönen Augen die immer gelacht und verschmitzt gestrahlt haben… alles was die Steroide und der Tumor ihr optisch angetan haben:  ihre Augen waren dieselben. Irgendwann dachte ich, sie schaut mich voller Vorwurf an… und ich verstand sie! Ich hatte ihr doch von Geburt an geschworen, dass ich sie beschützen werde – und ich konnte es nicht!

Sie wusste dass sie zu den Engeln gehen muss, aber sie hatte Angst. Ich erzählte ihr unentwegt wie schön es da oben ist. Das es dort Spielplätze gibt, wenn man rutscht landet man auf Wolken und das sich jeder ein eigenes Pferd aussuchen darf. Sie solle nur schon mal vorgehen… da oben ist die Zeitrechnung eine andere, was hier unten 30 Jahre, sind da oben nur 2 Tage. Und wenn es soweit ist solle sie mich am Licht abholen. „Lina, wenn du von einem langen Gang träumst und am anderen Ende ist ein weißes Licht- geh dahin! Dort wirst Du abgeholt! Du kennst jetzt den Weg. Du brauchst keine Angst haben. Du gehst nur kurz spielen – dann kommen wir nach! Da kannst Du tanzen und springen und hüpfen… da tut die nichts weh! Du darfst Dir jeden Tag ein neues Kleid aussuchen und du hast wieder wundervolle Haare. Geh ins Licht! Spring ins Licht! Wir kommen dann nach und du holst uns ab!“ Sie nickte nur und die Tränen liefen ihr aus den Augen…

Dann bekam sie noch ein weiteres entkrampfendes Medikament und driftete ab. Wir waren alle die ganze Zeit bei ihr und hielten ihre Hand. Sie konnte keine Zeichen mehr geben. Lilly war bei Freunden.

Um 14:30 nahm ich sie an die Hand und sagte: „Lina… ich weiß das Du jetzt von oben auf uns herabschaust, komm wir gehen raus … spazieren. Ich ging wirklich raus auf die Straße. Ich weiß von meinem Vater dass die Todgeweihten selten gehen, wenn ihre Geliebten um sie herum sind. Und das Leiden musste nach bald 24 Std endlich ein Ende haben – ihr restlicher Körper war ja kerngesund und kämpfte.

Draußen sagte ich ihr: „Meine geliebte Lina, ich liebe Dich… aber du musst jetzt gehen!!! Geh ins Licht – Du kennst den Weg! Dort oben wird alles gut! Ich werde Dich immer vermissen, aber wir
kommen nach! Geh jetzt… auch wenn Mami weint, wir schaffen das! Du bist immer ein Teil von uns…“

Indem kommt meine Mutter raus und winkt. Linas Atem und Herzschlag hatte seit einer Minute ausgesetzt. Ich renn zu ihrem Bett und schreie weinend laut auf… keine 3 Sekunden später nimmt sie 3 kräftige Atemzüge und ist wieder da.

Das ist das das schlimme an DIPG… die Kinder sind bis zum letzten Atemzug geistig voll da. Gefangen in einem Körper, der nicht mehr funktioniert und schmerzt. Die Kinder sterben voller Angst und mit dem Wissen, dass alles was sie kennen, hinter sich lassen und alleine ins Ungewisse gehen zu müssen. Wie soll man einer 6-jährigen erklären das sie nie wiederkommen kann… wir uns nie wieder sehen werden? Verdammt nochmal… es sind kleine Kinder die etwas Besseres verdient haben!!!!

Ich habe mich dann irgendwann zu ihr gelegt und ihr in Gedanken gesagt, dass jetzt Schlafenszeit ist… so wie ich es immer getan habe. Ich sang ihr in Gedanken „ Hush little baby“ vor. Das hatte sie sich mit ihren letzten Worten immer gewünscht: „Babylied“ … mehr brachte sie unter großer Anstrengung nicht mehr raus- 2 Tage zuvor. Ich habe ihre Hand immer wieder mit unseren Zeichen gedrückt und bin mir sicher, dass sie es bis zum Schluss verstanden hat. Dann versagte ihr Atem und ein letztes rasselndes Pfeifen kam hervor. Wir fühlten ihren Puls und er raste noch eine Minute lang. Dann war mein Kind tot…

 

Ja, wie fühle ich mich? Mein Kind ist tot… mehr Worte gibt es dazu nicht. Keine Worte können das beschreiben…

Ich schaue ständig in den Himmel… voller Schuldgefühl, wartend auf ein Zeichen von Dir. Ich hoffe ich habe Dir, als Ungläubige, keinen Mist erzählt wie es dort oben ist. Ich wünsche mir so sehr das es Dir besser oder auch nur „gut“ geht und das es ein „Irgendwo“ gibt, wo du jetzt bist. Aber auch dafür bin ich zu rational… selbst wenn andere etwas als Zeichen auslegen, finde ich eine Erklärung dafür. Ich muss wohl damit leben das Du einfach nicht mehr da bist…

Der Krebs hat dich genommen und Du wirst für immer 7 bleiben. Ich wünschte ich könnte Dich nur noch einmal rufen hören… oder nur ein Augenaufschlag…

Stattdessen liegt Dein kranker Körper in einem Grab gegenüber Deiner Schule in die Du nie gehen durftest. Ich habe keine Stelle an der ich mit Dir in Kontakt treten kann … Dein Bett haben wir gleich abholen lassen – wir wollten die Krankheit aus dem Haus haben. Vorher habe ich mich noch stundenlang in die Kuhle von Deinem Kopfabdruck gelegt – ich wollte bei Dir sein. Dann war auch das weg. Dein Zimmer ist so trostlos und leer… wir hatten es kurz vor der Diagnose umgeräumt… es ist nicht mehr dasselbe. Ich habe so sehr gehofft das ich Dich retten kann… aber ich hatte keine Chance. Das tut mir so wahnsinnig leid und ich werde alles tun, das wieder gut zu machen. Ich schaue aus dem Fenster… die Sonne scheint… ein weiterer Tag beginnt… ohne Dich. Das Leben geht weiter. Jeder Tag ist schmerzhaft… man kann ein gebrochenes Herz wirklich körperlich fühlen! Jede Nacht seit Deinem Tod wach ich um 2:00 Uhr auf bis zum Morgen, gequält von Gedanken, Träumen und der Sehnsucht das Du wieder bei uns bist. Du hast einfach mehr verdient… ein Leben!  Welchen Beruf hättest du wohl gewählt? Hättest Du eigene Kinder gehabt? Deine Lieblingsnamen waren immer Emily und Jessica. Du warst so hübsch, das wir immer Angst um Dich gehabt hätten…  Wie wärst du als Teenager geworden… die erste Verliebtheit – so spannende Dinge die Dir nicht gegönnt wurden. Ich hätte Dich gerne über Deinen ersten Liebeskummer hinweg getröstet – Dir gesagt das alles wieder heilt… aber mit unserem jetzigen Wissen? Was soll da heilen?

Einen Tag vorher hatte ich ihr versprochen noch die Fingernägel zu lackieren… das Versprechen hab ich auch eingelöst, wir haben sie gewaschen und all ihre Kuscheltiere um sie herum positioniert. Wir haben ihr einen Zahnstocher in die Hand gegeben (der war ihr immer sehr wichtig und wir haben uns auch oft darum gestritten), ihre Haare schön gekämmt, ihren Lieblingsschmuck und  Leuchtarmbänder angelegt – weil sie sonst Angst im Dunkeln hat. Insgesamt war es ein sehr skurriles Bild, aber es war ihrs… und darum geht’s!

Dann folgt die Bürokratie: wir haben das Palli Team angerufen und die Chefärztin kam um den Tod festzustellen. Das darf erst 4 Std nach Tod erfolgen. Frau Dr. Gravou war wie immer toll und wir hatten ein ganz tolles Gespräch an Linas Bett. Sie hat auch gleich alle Schläuche, Medikamente und Infusionen mitgenommen, die wir schon gepackt hatten – 4 große Kartons… wir wollten einfach die Krankheit aus dem Haus haben!

Lilly wurde uns gebracht und wir erzählten ihr, dass Lina jetzt bei den Engeln ist. Sie lag ja noch da und sah auch wirklich entspannt aus… fast ein bisschen wie früher… früher… eine Zeit, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Ich suchte mit Lillly den Schmuck aus, den wir ihr anlegten und sie durfte ein Kuscheltier bemalen welches sie Lina mitgeben wollte.

 

Um 9 Uhr musste dann das Bestattungsinstitut kommen, weil es bei uns sehr warm war… wir wollten es Lina schön kuschelig machen, was uns jetzt zum Verhängnis wurde. Ich konnte nicht dabei zuschauen, wie meine Tochter in einem weißen Kindertransportsarg aus unserem Zuhause weggetragen wurde und lugte nur von draußen durch das geöffnete Fenster rein. Ein Leichenwagen in der Auffahrt nimmt einem jegliche Illusion und schmeisst einen brutal in die Realität… da kann sie noch so friedlich aussehen. Jetzt sollte sie unser Heim für immer verlassen – das konnte doch einfach alles nicht wahr sein?!

Das war auch der Moment, in welchem Lilly realisierte das Lina nie wieder kommen würde und sie fing endlich an zu weinen. Heute- 3 Wochen nach ihrem Tod ist es so als wäre nie was passiert. Lilly freut sich über zwei Kinderzimmer und das doppelte Spielzeug. Sie erhebt ständig ihr Glas und sagt „auf Lina!“ und erzählt jedem der es nicht wissen will, das ihre Schwester gestorben ist… ja … sie ist erst 5… wie soll sie auch die Tragweite verstehen????

Wir waren dann alle noch bis in die Morgenstunden wach… haben mit Lilly noch eine Nachtwanderung gemacht und standen dann irgendwann in der Küche mit der Frage: „Was war schlimmer… Diagnose oder Tod?“ Das konnten wir sofort mit “Diagnose“ beantworten! Da wird einem einfach der Boden unter den Füssen weggerissen – man wird in einen Albtraum gesaugt ohne Entkommen oder Atempause. Auf den Tod konnten wir uns vorbereiten – auch wenn wir es nicht wahrhaben wollten. Wir haben Linas Zustand gesehen und doch nicht wahrhaben wollen… ein zweischneidiges Schwert. Im Mai sagte mir eine liebe Schwester, dass wir doch schon lange in der Trauerarbeit sind. Ja lieb… aber mein Kind ist trotzdem tot! Es muss einfach etwas passieren!

Ich weine nicht viel – das lässt einen auch nochmal schrecklich fühlen. Ich bin am Boden zerstört, dennoch kann ich nicht weinen. Irgendwann hat man einfach keine Tränen mehr. Und immer wieder diese Frage, weil man es nicht glauben kann: Wie kann es sein, das ein 6 cm großes Monster einfach so mein Kind ermorden konnte?

Irgendwann haben wir mal in unserem Blog geschrieben, das Lina keine Zeit hatte ihren Stempel dieser Welt aufzusetzen. Das stimmt so nicht!

Wir haben den Weg der Öffentlichkeit gewählt und auch wenn es einige andere nicht so getan haben… wir würden es immer wieder so tun! Wir haben so viel Hilfe, Zuneigung, Unterstützung und vor allem Informationen bekommen, so dass wir der Meinung sind, dass das der einzig richtige Weg war.

Dann kamen die noch wichtigeren Kommentare dazu: Menschen schrieben mir, dass Lina sie eine andere Sicht auf die Welt gelehrt hat. Eltern ließen bei ihren Kinder alle 5 gerade sein und umarmten sie und waren dankbar, dass sie gesund sind. Andere dachten sich, dass ihre Probleme nebensächlich sind wenn ein 6 jähriges Mädchen so kämpfen kann. Lina hatte niemals eine Chance… sie vertraute auf ihre Eltern und ihre Umgebung und gab doch so vielen das Gefühl von Liebe, Demut und Dankbarkeit. Vielleicht war das ihr Sinn… wie können so kleine Füße so große Spuren in den Herzen der Menschen hinterlassen?

Wir haben so viele freundliche, tolle Worte gelesen: “wie stark wir sind… wie toll wir zusammenhalten… andere würden das nicht schaffen….”

Ich fühle mich komisch dabei, weil das so nicht stimmt. Wir mussten in eine Aufgabe hereinwachsen, die keiner von uns gewollt hat. Alles was wir getan haben ist eine Selbstverständlichkeit… eine Pflicht. Aus Liebe zu unseren Kindern. Wir hätten noch gerne so viel mehr getan, aber uns wurde die Lebenszeit geraubt.

Wir waren anfangs einfach auch unwissend – hilflos in eine Situation reingeschleudert, die einem den Boden unter den Füßen wegreisst: auch das muss sich ändern. Es müsste einen Behandlungsplan geben, wo Ärzte sagen… “das machen wir seit Jahren, mehr können wir nicht tun” “Zusätzlich gäbe es aber noch dieses, jenes, und welches. Von dem halten wir nichts… das andere könnte man machen… das nächste ist Humbug.”

Wir mussten uns alles ergooglen… und Google ist nicht immer dein bester Freund. Mittlerweile sind wir fit was DNA, Mutationen oder andere Krebsarten angeht… nur für Lina kam das alles zu spät. Hatte sie je eine Chance? Hätten wir mehr machen können wenn wir schneller gewesen wären? Quälende Fragen, die wir uns immer stellen werden…

Jeden Tag werden neue Eltern in diese hoffnungslose Diagnose geworfen… letztendlich ist die Kernaussage: „Ihr Kind wird in 12 Monaten nicht mehr leben“; wobei das nur die halbe Wahrheit ist… es müsste heißen: „Jeden Tag wird ihrem Kind eine Fähigkeit genommen und es wird, bei vollem Bewusstsein elendig zugrunde gehen… und wir können, seit Anbeginn der Krankheit, nichts dagegen tun.”

Vielleicht hinterlässt Lina so ihre Spuren in Deutschland. Vielleicht wurde DIPG durch sie etwas in die Öffentlichkeit gerückt. DIPG ist nicht selten, so wie wir es am Anfang dachten… während ich diese Zeilen schreibe, wird ein anderes Kind diagnostiziert, wird anderen Eltern der Boden unter den Füßen weggerissen, stirbt ein kleines Mäuschen angstvoll wie unsere Lina und mit ihr ein Teil von uns und hinterlässt verwaiste Eltern und Geschwister. Ich habe in den letzten Jahren meinen Vater und meine Oma beerdigen müssen. Es ist mit nichts zu vergleichen, wenn man sein Kind sterben sieht. Die Angst in ihren Augen werde ich nie vergessen können und man steht hilflos daneben. Sie konnte nicht verstehen, warum sie gehen musste… sie wollte bei uns bleiben… sie hätte bei uns bleiben MÜSSEN! Es ist alles so falsch…

Gestern wurde ich von einer fremden Mutter gefragt wieviele Kinder ich habe… meine Antwort war automatisch: 2! Und das wird auch immer so bleiben…

Lina, mein Engel, auch wenn du nicht mehr bei uns bist… du bist immer bei uns! Du bist ein Teil von mir und ich liebe Dich für immer. Ich vermisse Dich so sehr, dass es mir körperlich weh tut. Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod, weil Du auf mich wartest. Du kannst jetzt wieder spielen, toben, lachen und tanzen… hoffe ich! Ich liebe dich bis zum Mond und zurück und unendlich um die Erde herum.

Deine Mama

 

Papa’s Gedanken.

Meine Frau hat nun schon viel geschrieben, mitgeteilt und ihren Gedanken freien Lauf gelassen. Diese teile ich ebenso, doch möchte ich nun auch das Wort ergreifen und meine Gefühle darlegen.

Ich erinnere mich noch an den Tag an dem alles begann, als wäre es erst gestern gewesen. Ich hatte Resturlaub und aufgrund Lina’s Symptome ließen wir Lina lieber aus dem Kiga. Ich vereinbarte einenTermin beim Kinderarzt erst am späten Nachmittag, so dass wir den ganzenTag mit Spielen und dem Bauen eines Hochbeetes für Mama miteinander verbrachten. Lina war an dem Tag wieder sehr sehr merkwürdig drauf und ich weiß noch genau wie wackelig sie mir beim Einpflanzen und Blumengießen geholfen hat.

Selbst da ist mir sowas noch nicht in den Sinn gekommen. Warum auch … an eiine schlimme Krankheit denkt man ja nicht, schon gar nicht an eine todbringende. Erst als ich mit Lina im Behandlungszimmer auf den Doc wartete, vermutete ich schlimmeres als einen “Schnupfen”. Und als ich das Gesicht des Kinderarztes sah, wusste ich, das dies mit ein bißchen Nurofen nicht getan sein wird.

Mit einem unguten Gefühl und der gepackten Tasche kamen wir am Südklinikum an. Und wenn die Zeit und die Hindernisse bis zu den finalen MRT-Bildern schon grausam waren, das Ergebnis war die blanke Katastrophe. Es versetzte mich an den Rand meines Bewusstseins. Mein Hals schnürte sich zu und ich versuchte mich irgendwo festzuhalten. Ich wollte am liebsten schreien, einfach nur schreien, so laut wie es nur ging. Doch selbst das gelang mir nicht. Nadine rannte raus, Luft holen und mit sich sein. Mir schossen Millionen von Bilder durch den Kopf. Alles und auch wieder nichts, aber alles in Sekunden und hinter einem Nebelvorhang. Ein großes Mischmasch aus Angst, Entsetzen, Wut, Trauer, Leere, Dunkelheit, Stille.

Aber Lina lag da, friedlich und sichtbar entspannt von der anstrengenden Nacht, nichtsahnend was mit ihr los ist und was jetzt passieren würde. Zu diesem Zeitpunkt war es uns auch noch nicht bewusst was noch alles geschehen wird. Nur eines wussten wir schon: unser Engelchen, unser 6er im Lotto, wird nie mehr wieder gesund.

Schlaf war egal, so dass sich auch Nadines Mutter auf den weiten Weg aus NRW machte um am morgen da zu sein, um Trost zu spenden und uns ihre Unterstützung zu geben. Die Anrufe bei meinen Eltern und bei meiner Schwester waren die Hölle und es war mir, sorry, scheiss egal, was die Schwestern auf der Intensivstation darüber sagten warum plötzlich hier 5 Personen bei Lina im Zimmer waren. Nun ja, “Süd” halt …

Die kommenden Tage, ob die Biopsie, die ganzen Untersuchungen, die Zugänge an allen erdenklich Stellen, waren unendliche Qualen für mein Mäuschen und für mich. Wie soll man es auch seinem Kindchen erklären, was da gerade mit ihr passiert? Und auch warum? “Warum piekst die mich.” Ihr angstverzerrtes Gesicht werde ich nie wieder vergessen.

Irgendwann sind Monika (Nadines Mutter), Lilly und ich zum Besuch nach Erlangen gefahren. Während Monika mit Lilly zur Besuchsuntersuchung ging, öffnete ich mein Handy und sah die Nachricht von Nadine. Bis dahin hatte man noch ein Fünkchen Hoffnung, doch das wurde beim Lesen des Textes zerstört. Lina wird sterben …  auf jeden Fall … kein Entkommen mehr … keine Chance … 0,0 %.

Man will aufwachen! Kneif mich, ich will raus aus diesem Tage andauernden Albtraum, der genau eine Sekunde nach dem man erwacht anfängt und bis zum Schließen der Augen am Abend anhält. Bis dato hatte ich zum Glück, noch keine Albträume in der Nacht. Mittlerweile schon.

Ich konnte nicht mehr stehen, setzte mich auf den Gehsteig und weinte vor all den Leuten, die an mir vorbeigingen. Das war wohl der Moment, in dem man aufgibt,  in welchem man nicht mehr leben möchte. Und sich auch von dem Herren im Himmel trennt. Es kann ihn nicht geben! Warum nimmt er sie uns weg? Sie hat niemanden etwas getan. Selbst Spinnen will sie retten und gibt jedem der in Not ist, was von sich ab. Sie ist wundervoll und der Moment, in dem ich sie zum ersten Mal im Arm halten durfte, war der allerschönste in meinem Leben! Und das sollte bald enden?

Irgendwann kam eine Frau, gab mir ein Taschentuch und half mir auf. Zum Glück,  denn in dem Moment kam Monika und Lilly wieder und meine kleine Tochter sollte natürlich noch nichts davon mitkriegen.

Die Besuche im Krankenhaus waren und sind immer noch wundervoll. Wenn man überhaupt positiv darüber sprechen kann. Im Krankenhaus bei Lina zu sein ist unbeschreiblich wertvoll. Jeder Tag ist wie ein Countdown, der abläuft und wir wissen nicht wo wir stehen. Unter 200 Tagen oder schon unter 100 Tagen? Die Ärzte können uns natürlich keine exakte Prognose geben, doch wie sich alles anfühlt, ist es schon sehr nahe. Und deswegen klingt es absurd, aber außen, in der laufenden Welt ist es furchtbarer! Die ersten Tage war Nadine bei Lina und ich kümmerte mich um Sachen wie Lilly, Krankenkasse, Versicherungen und auch um unser kaputtes Auto. Sachen, die zwar wichtig waren, sich aber falsch anfühlten und einen immer wieder zum Weinen brachten und heute immer noch bringen. Jeden Morgen der Spießrutenlauf im Kiga, den Platz von Lina sehen zu müssen, ihre Matschhose dort hängen zu sehen, wohl wissentlich, dass sie diese nie mehr anziehen wird um mit ihren Freundinnen im Garten in die Pfützen zu springen. Ihre Hausschuhe stehen noch fein säuberlich an ihrem Platz. Sie schauen so alleine aus, so zierlich und so unberührt von all dem.

Ich bin nicht gerne alleine, grundsätzlich nicht, und ich war froh dass Monika die meiste Zeit bei mir bzw. bei uns war. Um mit ihr zu reden oder auch zu weinen; uns bei der Betreuung mit Lilly zu unterstützen, zu ergänzen… Dafür danke ich ihr!

Und das mit dem Spießrutenlauf sollte man bitte nicht falsch verstehen. Ich habe am ersten Tag bereits gewusst, das man Hilfe braucht. Männer machen doch immer einen auf cool, so wie “mir kann keiner was”. Aber jetzt ist es etwas anders. Jetzt ist man verletzlich,  man blutet und man braucht Hilfe. Ich nehme sie auch an. Ob psychologisch, physiologisch oder auch nur ein offenes Ohr. Und wenn ich nicht an das Telefon gehe oder nicht gleich antworte, dann ist das so. Und wenn ich auch nicht darüber reden möchte, gebe ich das auch unweigerlich zu verstehen. Alle, die uns helfen wollen, danke ich von ganzem Herzen und ich sage auch, das die Zeit noch kommen wird, in welcher ich darauf zurückkommen werde. Und die wundervolle Unterstützung, welche bei uns bereits angekommen ist, hilft uns bei Lina zu sein um sie in den Arm zu nehmen, zu streicheln und sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten.

Auch ein großes Dankeschön geht an meine Arbeit. Wir fanden eine Lösung wie ich bei meiner Tochter weiterhin sein darf und meine Kolleginnen und Kollegen fangen meine Arbeit auf. Ihr seid wunderbar!

Meine Frau und ich haben ja die Intention, Lina nach ihrer noch 3 Wochen andauernden Bestrahlungsphase noch viele schöne erlebnisreiche Stunden schenken zu dürfen. Das ist ja auch der Hauptgrund warum wir Lina diese ganze Sch*** hier zumuten. Die dann folgende Regenerationszeit soll 4 Wochen lang sein und da wollen wir, sollte es ihr Zustand erlauben, ihr zeigen wie toll und bunt die Welt doch ist. Und um ihr zu zeigen, dass wir sie lieben und sie nie alleine sein wird.

Gerade eben habe ich sie hier im Krankenhaus geduscht, geföhnt und hübsch frisiert. Sieben Wochen nach dem Anfang und ca. drei Wochen Chemotabletten beginnt es … ihre langen wundervollen braunen Haare fallen aus.

Gute Zeit

Momentan sind uns leider die Hände gebunden etwas mit ihr zu machen, weil sie jetzt bettlägerig ist und auch zu schwach.

Als sie noch konnte, haben wir sie einfach mal auf ein Pferd gesetzt, weil sie großer Bibi und Tina Fan ist. Eine tolle Freundin hat uns das ganz unklompliziert, auf einem Feiertag, ermöglicht:

Lina hatte an diesem Tag viel Spaß und auch nachher noch viel davon erzählt …

Apropos Bibi und Tina …

Genauso tolle Freunde haben uns aus dem hohen Norden besucht um einen Abend mit Lina verbringen zu können. Kostja und Janin Ullmann haben so einiges auf sich genommen um das möglich zu machen. Ich bin immer noch ganz hin- und weg, dass die beiden es, trotz ihres engen Zeitplans, geschafft haben. Und noch toller … heute kommt Kostja nochmal ins Krankenhaus … Lina (und Lilly) sind “schockverliebt”. Toll, das wir nicht nur Remmidemmi können, sondern auch so etwas … Liebe!

Eine andere Freundin bringt uns im 2- Wochentakt ihre kleine Fußhupe “Norbert” vorbei. Hund Norbert schafft es immer wieder uns kurz unsere Lina zurückzubringen:

Und jetzt kommt der Knaller … unsere besten Freunde (mit ganz vielen tollen Helfern) haben etwas auf die Beine gestellt, wo wir Ostern fast aus den Latschen gekippt sind. Ohne das wir es wussten, wurde für uns eine Sammelaktion gestartet und jeder hat etwas gegeben. Jeder möchte etwas tun und jedem sind, wie auch uns, die Hände gebunden …

Dieses Geld hilft uns tatsächlich sehr damit wir gute und vor allem Dingen mehr Zeit mit Lina verbringen können. Ich glaube ich darf die Rückseite des Checks nicht veröffentlichen, aber alle Namen sind erwähnt und wir danken allen so sehr und sind bis heute noch geplättet.

Wir haben noch eine ärztlich betreute Kur und Euro Disney im Auge, aber das ist in ihrem momentan Zustand leider erstmal auf Eis gelegt.

Es gibt aber auch gute Nachrichten:

Am letzten Donnertag wurde doch ein MRT vom Kopf und Rücken gemacht und der Tumor hat weder gestreut, noch ist er gewachsen!!! Leider merken wir davon noch nichts denn es geht ihr schon sehr schlecht … aber wir hoffen und bangen und kämpfen weiter!

Vielen Dank Ihr lieben Freunde, das ihr uns durch diese schwere Zeit helft!

 

Verschwendete Zeit…

Wir wissen es jetzt seit 6 Wochen …

Das war Linas 1. Tag im Klinikum:

Das ist sie heute:  (und das ist noch ein gutes Bild mit dem Versuch eines Lächelns und sie konnte den Arm etwas koordinieren.)

Die aktuelle Istsituation ist:

Sie kann keine 3 Schritte mehr gehen, ihr rechter Arm und zusätzlich auch die rechte Gesichtshälfte sind so gut wie gelähmt. Sie trägt Windeln tagsüber und auch Nachts, sie hat Kopf- und Rückenschmerzen und sabbert, wenn sie mal spricht dann übers Essen und ist kaum noch zu verstehen. Sie hat Atemprobleme und 9 kg in 3 Wochen zugenommen. Sie ist massiv depressiv und teilweise sogar aggressiv und resigniert.

Sie bekommt 21 Tabletten am Tag und zusätzlich noch Schmerzmittel.

Wir sind jetzt in der 3. Woche Chemo und Bestrahlung und es geht jeden Tag rapide bergab.

Nachts google ich mir die Finger wund um Kontakt zu anderen Betroffenen zu bekommen oder jedem Hinweis nachzugehen und andere Kliniken anzuschreiben.

Ein kleiner Strohhalm wäre für uns unser Kind auf Methadon zu setzen. Da gibt es relativ gute Erfolge bei Erwachsenen. Das ist aber nicht so einfach. Wir haben mit unserem behandelnden Arzt gesprochen und er ist dagegen. Auch aus für uns nachvollziehbaren Gründen: Es kann eine Atemdepression verursachen und sie hat eh schon Probleme beim Atmen. Die Dosierung ist bei Kindern nicht so einfach und er möchte die Therapie jetzt nicht durch irgendetwas beeinflussen. Er wäre im 2. Block nach der Bestrahlung bereit dazu. Wir sehen leider nur, das es Lina jeden Tag schlechter geht.

In circa 5 Wochen machen sie ein erneutes MRT … sollte der Tumor weiter so wachsen, haben wir beschlossen sie nach Hause zu holen …  so DARF KEIN Kind leiden. Aber wie soll man so eine Entscheidung treffen???

Ich bin eine Mutter von einem Kind das Krebs hat – irgendwann bin ich eine Mutter von einem Kind das an Krebs gestorben ist. Was bleibt … ich bin eine Mutter! Und ich bin und werde Linas Mutter bleiben … deswegen werde ich auch die Kraft aufbringen das durchzustehen. Ich kann mir in meinen kühnsten Träumen noch nicht ausmalen, wie es ist wenn sie nicht mehr da ist… Irgendwann wird es für viele auch so sein als wäre sie nie da gewesen, die Welt wird sich weiterdrehen auch ohne sie … für uns nicht!

Sie ist doch noch so klein … und sie hatte nie die Zeit unserer Welt ihren kleinen Stempel aufzusetzen.

Mir kommt immer nur der Gedanke an verschwendete Zeit:  Zeit ich mit meckern, putzen, arbeiten oder einfach mal mit mir verbracht habe … alles verschwendete Zeit! Sinnlos aus der jetzigen Sicht … mein Kind verschwindet seit dem 28. März … täglich … stündlich.

Wir haben lange überlegt ob wir auch Bilder von ihr veröffentlichen, die nicht so schön sind und haben uns dafür entschieden, denn irgendwo darunter ist noch unser kleines hübsches Mädchen, das wir so lieben … sie kann nur nicht raus. Das weiss sie auch selber, denn geistig ist sie voll da.

Das würde mich auch wütend machen wenn keiner auf mich hört, wenn ich sage “Ich will nicht das ihr mir wieder wehtut!”      “Doch wir müssen das …. Du bist so stark, kleine Maus!”

Wenn meine Freunde wild spielen und rumturnen und ich muss bei den Großen sitzen, trage Windeln und muss mich füttern lassen.

Wenn ich sagen will, das meine Windel nass ist, oder ich Hunger habe, aber die Worte nicht so sprechen kann, dass ich verstanden werde.

Wenn ich ihr doch nur helfen könnte … wenn es ein Tauschgeschäft geben würde …

Am Nikolaus ist Lina 6 geworden … da war meine größte Sorge noch wie ich glaubhaft verklickern könnte, das es den Nikolaus gibt. Wenn sie auf einmal nicht mehr an so etwas wie den Nikolaus und den Osterhasen glauben sind sie schon so groß … wo bleibt die Zeit? Lina wird kein Ostern mehr erleben und Nikolaus ist auch sehr fraglich.

Viele Dinge sind einfach zum letzten Mal. Letzte Woche haben wir ihr Krankenbett ins Wohnzimmer gestellt, weil sie momentan bettlägerig ist. Heute habe ich ihr Zimmer aufgeräumt: das fällt einem massiv schwer mit dem Hintergedanken, ob sie es noch jemals wieder betreten wird….

Nichts ist wie vorher und alles ist falsch!

Linas erste Operation

Gut … heute ist also endlich der Tag an dem ich mich endlich daran mache den 2. Artikel zu schreiben … ich habe immer gesagt ich mache erst ein Vorwort UND einen 2. Artikel bevor die Geschichte wirklich online geht. Dann wurde daraus so etwas wie Berichtsheft schreiben oder Reisekostenabrechnung machen … morgen, weil heute ist ja zu viel passiert.

Ja, heute ist auch wieder zu viel passiert … jeden Tag passiert viel zu viel …

Aber von Anfang an:

Lina hat die Hirnbiopsie „ausgesprochen gut“ überstanden. Ich brachte sie morgens im Krankenwagen zur Kopfklinik und beruhigte sie bis sie eingeschlafen war – sie weinte und hatte große Angst, weil sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht genau wusste was mit ihr passieren würde. Sie konnte nur an Mamas Augen erahnen, dass ihre Angst wohl berechtigt sein müsste. Im Vorgespräch wurden wir über alle Risiken aufgeklärt und die waren heftig!  Beim 1. Mal saugt man jedes beängstigende Wort der Aufklärungsgespräche noch in sich auf – später wird auch das Routine und man unterschreibt einen Zettel, dass man es nicht mehr hören will. Nicht jeden Tag.  Aber Bürokratie muss sein.

Wir standen also 5 Stunden später wieder vor einer Intensivstation, mit der Hoffnung, dass unser Kind uns überhaupt erkennen würde. Schielen und eine Gesichtslähmung hätte sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Ich hatte mir im Laufe der letzten Tage schon einen Satz zurecht gelegt:

„Dann ist das so!“

Und das half mir auch.

Schielt sie?:  „Dann ist das so“
Verliert sie Haare?:  „Dann ist das so“
Ist sie gelähmt?  „ Dann ist das so!“
Aber sie ist unsere Mausi und wir lieben sie –  SO ist das!

Durch Linas Kleinhirn wurde eine kugelschreiberdicke Mine ca. 5 cm weit geschoben, um an den Tumor zu gelangen und Proben zu entnehmen … das irgendwas zerstört werden wird, wenn man durchs Kleinhirn was stößt, ist sogar mir mit meinem begrenzten medizinischen Wissen bewusst.

Wir saßen nun vor Linas Bett … sie voller Schläuche und Geräte und …. ja … normalerweise würde ich jetzt die Floskel „beteten“ schreiben.

BETEN???  Aber zu wem soll ich beten???   Zu Gott???  Einem Gott der zulässt, dass es so eine Krankheit gibt? Eine Krankheit die fast nur kleine Kinder erwischt, die erst elendig daran leiden und dann 100% ig daran sterben? Kinder die so alt sind, daß sie mit dem Thema todkrank und Tod überhaupt niemals belastet werden sollten?

Kinder die nicht verstehen was mit ihnen passiert?

Kinder die innerhalb von 14 Tagen 25% Ihres Körpergewichtes zulegen, nicht mehr laufen oder sehen können, sabbernd und inkontinent im Bett liegen … eine Windel brauchen, obwohl sie zur Schule gehen sollten und stolz sein sollten, schon so groß zu sein…

Kinder die ihre Eltern täglich weinen sehen, obwohl sie sich versuchen zusammenzureißen und den Clown spielen … eine 6 jährige überreißt das alles und stellt ihrer Mama die Frage, ob sie denn jemals erwachsen wird!  Für so etwas KANN es keinen Gott geben!!

Aber ich bin abgeschweift …

Lina wachte auf und versuchte als erstes sich den Schlauch eigenhändig aus dem Mund zu reißen und wir wurden aus dem Raum geschickt. „Eltern sollten so etwas lieber nicht sehen und das Kind soll seine schlechten Erfahrungen lieber nicht damit verbinden , dass die Eltern im Raum sind und so etwas zulassen“ Das war auch besser so… aber Lina kann sich heute noch daran erinnern, dass wir da waren und rausgegangen sind.

Als wir wieder reinkamen, war sie kurz da und schlief dann mit den Worten ein, dass sie keinen Schlauch in der Mumu (Katheder) haben möchte.  Aber geschielt hat sie nicht. Ihre linke Gesichtshälfte war gelähmt und sie konnte den Kopf nicht nach links bewegen. ABER… sie hat uns erkannt!  Das war das wichtigste für uns … alles andere: Ja, dann ist das eben jetzt so!

Andy musste nach Hause, da wir ja noch eine andere Tochter haben, die versorgt werden will … und eine weitere Nacht auf einem Klappstuhl  in einer Intensivstation erwartete mich.

Irgendwann am nächsten Morgen kamen wir wieder auf unsere Station und Lina konnte sich erholen. Das große Bangen um das Ergebnis der Biopsie begann. Wir wussten, dass es eine Zeit dauern würde und das es 4 Grade von Tumoren gibt.  1 ist das „Beste“ und 4 das “Schlimmste”. Mehr wussten wir noch nicht. Uns wurde auch abgeraten zu googlen und das kannte ich ja noch aus der  Schwangerschaft und hielt mich daran … 2 Nächte … 3 Nächte … wie gesagt: Schlaf ist überbewertet.

Ich googlete also … jeder von Euch darf dasselbe tun: „DIPG“ reicht schon.

Ich fand heraus das es ein relativ seltener Tumor ist und das es weltweit noch kein Kind … niemals … überlebt hat. Kinder, die das bekommen, werden massiv dicke Kinder, die bis zu ihrem sedierten Tod, schnell gelähmt, sprach- und emotionslos sind. Scheisse! Warum hab ich gegooglet??? Es muss doch was geben???  Noch eine ganze Nacht weitergegooglet …. Nix! Alles was bisher gefunden wurde, hatte dasselbe Ende!

Am nächsten Tag war Chefvisite und ich bat den Professor zu einem kurzen Gespräch raus. Ich stellte meine Fragen … über alles was ich gegooglet hatte.

 Er bestätigte alles.

Ich fragte weiter: „wird mein Kind 20 Jahre alt?“

„Nein.“

Wie lange hat sie?

„ Maximal 12 Monate“

Und immer diese nagende, bohrende vorwurfsvolle Frage im Hinterkopf: „ Hätten wir es eher bemerken müssen?“  Auf diese Frage bekam ich (noch) keine Antwort die MEIN Gewissen beruhigt hätte.

Ich blieb ruhig und der Professor wunderte sich … wieder diese Sache mit dem reagieren müssen … aber ich mache so etwas mit mir aus … alleine … Nachts.

Außerdem war es ja was, was ich schon seit 3 Nächten wusste und es konnte ja nichts anderes dabei rauskommen.  Ich bin den Ärzten dankbar für ihre Ehrlichkeit und wenn ich gezielte Fragen stelle, bekomme ich die richtigen Antworten. Das ist nicht einfach und manchen wundert es vielleicht – aber für mich ist es der einzige Weg … Ich muss wissen womit ich es zu tun habe und muss die Sachen auch beim Namen nennen. Und da sind wir in unserer Klinik auch gut aufgehoben. Für mich ist es schlimmer irgendwelche Hoffnungen zu schüren und dann wieder in den Abgrund zu fallen. Lieber verarbeite ich das Schlimmste und werde positiv überrascht.

Jetzt war ich allerdings der Bote … der Bote der schlechten Nachrichten … nur weil ich gegooglet hatte. Das kann man doch nicht ernst nehmen? Andy und meine Mutter kamen … in 40 Minuten … sie durften nicht heulend zu Lina rein … würden sie mir und meinem googlen glauben? Nachdem wir erst am Vortag von einer anderen Mutter (mit einem anderen Tumor) gehört hatten, das ein Tumor sich auflösen kann und durch Urin abgesondert werden kann??? Wir waren so voller Hoffnung … wir waren so blauäugig …

Ich schickte folgende Nachricht:

„Ich habe Angst Euch das zu sagen, deswegen schreib ich es lieber, weil ich auch nicht mit der Situation umzugehen weiß. Ich habe heute Nacht gegooglet: ‘Inoperables Ponsgliom’ und was da stand, ist sowas von endgültig. Und genau diese Fragen hab ich jetzt dem Doktor gestellt. Das mit dem Lasern habe ich zu spät gelesen, aber es hätte auch keinen Sinn. Man kann das Ding nicht herausoperieren – das wäre ihr sicherer Tod.

Lina wird über kurz oder lang … aber definitiv… daran sterben. Daran gibt es nichts zu rütteln. Es gibt auch nichts, das der Tumor sich auflöst. Die bestmöglichste Variante ist, das er vorerst nicht mehr wächst. Es gibt weltweit keinen Fall, das ein Kind das überlebt hätte. Es ist eine reine Kinderkrankheit… das ist einfach unfassbar…..

Der Chefarzt hat mir das auch gerade alles genauso bestätigt. Es kommt nur noch darauf an, welchen Grad sie jetzt hat – trotzdem ist es definitiv. Ich schreib Euch das jetzt nur, damit ich Euch das nicht gleich hier vor Lilly und ihr sagen muss. Wir müssen jetzt für sie stark sein und es ihr so schön wie möglich machen.“

 

Wenn ich das mit meinem heutigen Wissen nochmal lese, komme ich mir so unwissend … so naiv … so voller falscher Hoffnung vor – das war vor genau 20 Tagen … ich fühle mich um Jahre gealtert, in Millisekunden.

2 Tage später hatten wir das Ergebnis der Biopsie

WHO Grad 4 – bösartig und schon mutiert.

Die nächsten Worte die ich nie vergessen werde …

Lina … von einem Schnupfen wirst Du nicht sterben!

Das waren die Worte die ich zu meiner Tochter sagte als alles anfing … Worte, die ich nie vergessen werde, Worte die mich mein Leben lang verfolgen werden.

Doch … an diesem Schnupfen wird meine Tochter sterben, weil es kein Schnupfen ist sondern eine heimtückische „Kinderkrankheit“, die fast ausschließlich Kinder ab dem 4. Lebensjahr bekommen.
DIPG … 4 Buchstaben und die Welt hebt sich für uns aus den Angeln … Nichts ist mehr so wie es war … alles schwarz. Der Tod steht plötzlich vor unserer Tür. Aber das haben wir noch nicht verstanden … Kann man das jemals verstehen?

Diffuses intrinsisches Ponsgliom“ – So heißt das Monster mit vollen Namen. Ein Hirntumor im Hirnstamm meiner 6 jährigen Tochter … inoperabel. An einer Stelle die im Hirn fast alles koordiniert … einschließlich der Atmung. Eine Operation wäre der sichere Tod … keine Operation aber auch … nur nicht heute.
Mit einem Schnupfen fing alles an. Montags. Donnerstags war er immer noch da und Freitags fiel uns auf das sie undeutlich sprach und irgendwie manchmal komisch ging. Aber nichts worüber wir uns starke Sorgen machten … allzu deutlich hatte sie nie gesprochen und sie war auch unser lieber kleiner Tollpatsch. Sonntags war es auffällig komisch – sie fiel zudem auch jetzt ab und zu aus dem Nichts um.

Gleich am Montag wurde ein Arzttermin ausgemacht und ich fuhr geschäftlich und leicht besorgt Richtung Österreich. Lina baute mit Papa ein Hochbeet für Mama als Überraschung …
Abends die Rückmeldung vom Papa: Der Kinderarzt sagt da stimmt was nicht … das könnte alles sein, auch ein Schlaganfall. Mit wehenden Fahnen und vielen Tränen brach ich da unten ab und bretterte wie eine Geisteskranke ins Klinikum. Um 21:00 Uhr kam ich endlich an und Lina hatte schon einen Zugang und ein Bett bekommen. Aber es standen noch alle Untersuchungen an. Die kleine Schwester konnten wir Gott sei Dank bei einer Freundin parken, die auch gerade sehr schlechte Nachrichten über ihren Gesundheitszustand bekommen hatte und somit waren wir für die Nacht safe.
Die Krankenschwester sagte uns noch dass ein 6 jähriges Kind auch gut alleine bleiben könnte und wenn wir uns dagegen entscheiden, würden uns Kosten entstehen … sie konnte keine Mutter sein!
Lina sollte in die Röhre … sie wollte aber nicht! Sie erstarrte förmlich vor Angst während alle mit Engelszungen auf sie einredeten. Und dann dieser Blick: „Mama, hilf mir!“

Es half nichts … alles wurde abgebrochen und ein CT stand zur Auswahl. Die Ärztin bestand aber auf ein MRT und Lina wurde das erste mal mit Propofol -Michael Jacksons „Schlafmilch“ -sediert. Das sollte nicht das letzte mal gewesen sein …

Gefühlte Stunden saßen wir sorgenvoll und ängstlich vor der Tür, während unsere kleine Maus doch in die für sie so beängstigende Röhre musste. Drinnen hörten wir die Stimmen reden und die Sprachfetzen, welche wir bei unseren Lauschangriffen aufschnappten, versprachen irgendwie nichts Gutes. Lina wurde dann auf die Intensivstation verlegt und man versprach uns, das sei eine reine Vorsichtsmaßnahme wegen der Sedierung. In unseren Mägen drehte sich trotzdem alles und der Kopf schrie immer nur HIER STIMMT DOCH WAS NICHT! Die ersten mitleidigen Blicke trafen uns und ich versuchte das absolut miese Bauchgefühl zu ignorieren. Wieder gefühlte Stunden später – es war mittlerweile wirklich halb 2 Uhr morgens – kam dann die Anästhesistin (nicht die Ärztin) wieder zu uns und fummelte Ewigkeiten an den Bildern vom Kopf unserer Maus herum um das „schönste Bild“ herauszusuchen… und ich dachte nur „werd jetzt endlich fertig du dumme Kuh“!

Dann fiel plötzlich das erste mal das Wort TUMOR! WAS??? Tumor??? Gehirntumor??? Was??? Dann fielen noch ganz viele Worte, aber die kamen bei mir nicht mehr an. Tumor??? Krebs??? Nein, sowas trifft doch immer nur die anderen! Oder die im Fernsehen! Aber doch nicht uns! Doch nicht ein Kind … doch nicht MEIN Kind!!!

Ich fiel in eine Blase aus der ich jetzt – 13 Tage später noch nicht erwacht bin. Ich guckte mich um und sah in viele Gesichter, die alle irgendwie eine Reaktion von mir erwarteten … ja wie reagiert man den standesgemäß? Klar heulen … das tat ich ja sowieso schon den ganzen Abend. Ich musste da raus! Draußen … ja was sollte ich draußen? Hilft ja auch nix … pure Verzweiflung ergriff mich. Ich rief meine Mutter an und sie machte sich morgens um 3 Uhr auf den Weg in unsere 500 km entfernte Heimat. Hektik ergriff mich … ich muss meine Zeit nutzen … sie braucht mich … ich brauche sie! Ich musste wieder rein zu meinem Kind und legte mich in ihr Kinderkrankenbett.

Die ersten Psychologen kamen und ich schaute sie nur ratlos an … was soll ich denen denn erzählen? Ändert das was? Ist das ganze hier überhaupt wahr. Und ständig diese Gesichter die Mitleid zeigen und eine Reaktion von mir erwarten. Wohin kann ich laufen und endlich aufwachen?
Ich weiß nicht mehr wann Lina aufgewacht ist oder was genau die nächsten Stunden passiert ist bis endlich die Nacht aufhörte und die Sonne in der Nase kitzelte. Der Frühling fing an und es sollte richtig gutes Wetter werden. Vielleicht war es ja doch ein Traum? Jetzt ist es doch endlich hell! Kommt, lasst uns nach Hause gehen und diese furchtbare Nacht einfach vergessen!

Nein, das geht nicht … die Maschinerie läuft an. Ich glaube, wir waren nicht die beliebtesten Gäste auf der Station weil dann irgendwann meine Mutter und Schwiegereltern eintrudelten. Das war ja immerhin die Intensivstation, wo kein Besuch erlaubt ist. Das taten die Schwestern vor unserem Zimmer auch in lauten Lästereien kund.

Um 13 Uhr sollten wir mit dem Krankenwagen in die Uni Klinik Erlangen verlegt werden. Mein Magen hatte sich mittlerweile mehrmals entleert und bei einem Blick in den Spiegel merkte ich, dass ich so meinem Kind nur noch mehr Angst machen würde. Ich legte Schminke auf und seitdem Zeitpunkt spiele ich die Rolle meines Lebens. Im Krankenwagen werden Handschuhe aufgepustet und Elefanten daraus gebaut, der Infusion Ständer wird als Skateboard missbraucht, im Keller werden heimlich Rolli Rennen gefahren ….
Alles um der Maus die Angst zu nehmen und selbst nicht denken zu müssen.

In Erlangen angekommen, wurden wir toll empfangen und fühlen uns bis heute dort super aufgehoben. Schwester Svenja nahm mich unbekannterweise gleich in den Arm und die Ärzte kümmerten sich auch gleich um uns.
Sie werden immer ehrlich zu uns sein, sagten sie.
Es wurde für Donnerstag eine Hirnbiopsie festgelegt, wo sie 3 kleine Stücke vom Tumor entfernen würden, um sie zu untersuchen. Dann folgten die schlimmsten Aufklärungsgespräche die Eltern auch nur führen können. Wir unterschrieben alles und ich suchte heimlich die imaginäre Nadel, die diese verdammte Blase endlich platzen ließ. Mein Hirn wollte nichts mehr aufnehmen … nur ihren Tumor … den hätte ich gern genommen!

Ich schlief die Nacht wieder bei Lina im Kinderkrankenbett … obwohl das Wort Schlaf maßlos übertrieben ist? Schlafen? Essen? Was? Ich soll meine Zeit mit sowas vergeuden … ich möchte all meine Zeit mit meinem Kind verbringen! Irgendwann sagte Lina zu mir „Mama … ich hab Dich ja lieb, aber jetzt musst Du aus meinem Bett … mir ist zu warm.“ Oh … okay … wenn du das willst … du kriegst jetzt ALLES was Du willst! Bloß nicht laut aussprechen!

Vorwort

Lange haben wir überlegt ob wir über das Schicksal unserer Tochter einen Blog machen wollen….

Wir haben uns mit Familie und Freunden beraten, weil wir unser totkrankes Kind nicht zur Schau stellen möchten und wir fragten uns natürlich ob es in Ihrem Sinne ist.

Letztendlich haben wir uns dafür entschieden… einfach um Informationen zu bündeln, Kontakte zu anderen Betroffen zu finden, um irgendwann mal anderen helfen zu können denen es genauso wie uns den Boden unter den Füssen weggerissen hat, um auf diese furchtbare und wenig erforschte Krankheit aufmerksam zu machen und letztendlich auch das Schreiben als Ventil nutzen können.

Mal gucken wie es weitergeht … für mich persönlich eine neue Art Medium in die ich mich noch reinfinden muss.

Zu unserer Lina:

Sie wurde am Nikolaus 2010 als absolutes Wunschkind geboren. Wir haben viel in Kauf genommen damit sie uns geschenkt wurde – deswegen ist es auch so unverständlich das sie uns jetzt wieder genommen werden soll.

Sie ist ein sehr fröhliches, wissbegieriges, sensibles, verfuttertes und emotionales Mäuschen, welches immer und überall darauf bedacht ist, dass es Ihrem Umfeld gut geht. Sie teilt, verschenkt und tröstet am liebsten.

Am 29.03.2017 erhielten wir die Diagnose “diffuses intrinsisches Ponsgliom Grad 4 und auch schon mutiert … ein Todesurteil … bis jetzt: wir kämpfen trotzdem!

Das ist ihr Weg …