Linas erste Operation

Gut … heute ist also endlich der Tag an dem ich mich endlich daran mache den 2. Artikel zu schreiben … ich habe immer gesagt ich mache erst ein Vorwort UND einen 2. Artikel bevor die Geschichte wirklich online geht. Dann wurde daraus so etwas wie Berichtsheft schreiben oder Reisekostenabrechnung machen … morgen, weil heute ist ja zu viel passiert.

Ja, heute ist auch wieder zu viel passiert … jeden Tag passiert viel zu viel …

Aber von Anfang an:

Lina hat die Hirnbiopsie „ausgesprochen gut“ überstanden. Ich brachte sie morgens im Krankenwagen zur Kopfklinik und beruhigte sie bis sie eingeschlafen war – sie weinte und hatte große Angst, weil sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht genau wusste was mit ihr passieren würde. Sie konnte nur an Mamas Augen erahnen, dass ihre Angst wohl berechtigt sein müsste. Im Vorgespräch wurden wir über alle Risiken aufgeklärt und die waren heftig!  Beim 1. Mal saugt man jedes beängstigende Wort der Aufklärungsgespräche noch in sich auf – später wird auch das Routine und man unterschreibt einen Zettel, dass man es nicht mehr hören will. Nicht jeden Tag.  Aber Bürokratie muss sein.

Wir standen also 5 Stunden später wieder vor einer Intensivstation, mit der Hoffnung, dass unser Kind uns überhaupt erkennen würde. Schielen und eine Gesichtslähmung hätte sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Ich hatte mir im Laufe der letzten Tage schon einen Satz zurecht gelegt:

„Dann ist das so!“

Und das half mir auch.

Schielt sie?:  „Dann ist das so“
Verliert sie Haare?:  „Dann ist das so“
Ist sie gelähmt?  „ Dann ist das so!“
Aber sie ist unsere Mausi und wir lieben sie –  SO ist das!

Durch Linas Kleinhirn wurde eine kugelschreiberdicke Mine ca. 5 cm weit geschoben, um an den Tumor zu gelangen und Proben zu entnehmen … das irgendwas zerstört werden wird, wenn man durchs Kleinhirn was stößt, ist sogar mir mit meinem begrenzten medizinischen Wissen bewusst.

Wir saßen nun vor Linas Bett … sie voller Schläuche und Geräte und …. ja … normalerweise würde ich jetzt die Floskel „beteten“ schreiben.

BETEN???  Aber zu wem soll ich beten???   Zu Gott???  Einem Gott der zulässt, dass es so eine Krankheit gibt? Eine Krankheit die fast nur kleine Kinder erwischt, die erst elendig daran leiden und dann 100% ig daran sterben? Kinder die so alt sind, daß sie mit dem Thema todkrank und Tod überhaupt niemals belastet werden sollten?

Kinder die nicht verstehen was mit ihnen passiert?

Kinder die innerhalb von 14 Tagen 25% Ihres Körpergewichtes zulegen, nicht mehr laufen oder sehen können, sabbernd und inkontinent im Bett liegen … eine Windel brauchen, obwohl sie zur Schule gehen sollten und stolz sein sollten, schon so groß zu sein…

Kinder die ihre Eltern täglich weinen sehen, obwohl sie sich versuchen zusammenzureißen und den Clown spielen … eine 6 jährige überreißt das alles und stellt ihrer Mama die Frage, ob sie denn jemals erwachsen wird!  Für so etwas KANN es keinen Gott geben!!

Aber ich bin abgeschweift …

Lina wachte auf und versuchte als erstes sich den Schlauch eigenhändig aus dem Mund zu reißen und wir wurden aus dem Raum geschickt. „Eltern sollten so etwas lieber nicht sehen und das Kind soll seine schlechten Erfahrungen lieber nicht damit verbinden , dass die Eltern im Raum sind und so etwas zulassen“ Das war auch besser so… aber Lina kann sich heute noch daran erinnern, dass wir da waren und rausgegangen sind.

Als wir wieder reinkamen, war sie kurz da und schlief dann mit den Worten ein, dass sie keinen Schlauch in der Mumu (Katheder) haben möchte.  Aber geschielt hat sie nicht. Ihre linke Gesichtshälfte war gelähmt und sie konnte den Kopf nicht nach links bewegen. ABER… sie hat uns erkannt!  Das war das wichtigste für uns … alles andere: Ja, dann ist das eben jetzt so!

Andy musste nach Hause, da wir ja noch eine andere Tochter haben, die versorgt werden will … und eine weitere Nacht auf einem Klappstuhl  in einer Intensivstation erwartete mich.

Irgendwann am nächsten Morgen kamen wir wieder auf unsere Station und Lina konnte sich erholen. Das große Bangen um das Ergebnis der Biopsie begann. Wir wussten, dass es eine Zeit dauern würde und das es 4 Grade von Tumoren gibt.  1 ist das „Beste“ und 4 das “Schlimmste”. Mehr wussten wir noch nicht. Uns wurde auch abgeraten zu googlen und das kannte ich ja noch aus der  Schwangerschaft und hielt mich daran … 2 Nächte … 3 Nächte … wie gesagt: Schlaf ist überbewertet.

Ich googlete also … jeder von Euch darf dasselbe tun: „DIPG“ reicht schon.

Ich fand heraus das es ein relativ seltener Tumor ist und das es weltweit noch kein Kind … niemals … überlebt hat. Kinder, die das bekommen, werden massiv dicke Kinder, die bis zu ihrem sedierten Tod, schnell gelähmt, sprach- und emotionslos sind. Scheisse! Warum hab ich gegooglet??? Es muss doch was geben???  Noch eine ganze Nacht weitergegooglet …. Nix! Alles was bisher gefunden wurde, hatte dasselbe Ende!

Am nächsten Tag war Chefvisite und ich bat den Professor zu einem kurzen Gespräch raus. Ich stellte meine Fragen … über alles was ich gegooglet hatte.

 Er bestätigte alles.

Ich fragte weiter: „wird mein Kind 20 Jahre alt?“

„Nein.“

Wie lange hat sie?

„ Maximal 12 Monate“

Und immer diese nagende, bohrende vorwurfsvolle Frage im Hinterkopf: „ Hätten wir es eher bemerken müssen?“  Auf diese Frage bekam ich (noch) keine Antwort die MEIN Gewissen beruhigt hätte.

Ich blieb ruhig und der Professor wunderte sich … wieder diese Sache mit dem reagieren müssen … aber ich mache so etwas mit mir aus … alleine … Nachts.

Außerdem war es ja was, was ich schon seit 3 Nächten wusste und es konnte ja nichts anderes dabei rauskommen.  Ich bin den Ärzten dankbar für ihre Ehrlichkeit und wenn ich gezielte Fragen stelle, bekomme ich die richtigen Antworten. Das ist nicht einfach und manchen wundert es vielleicht – aber für mich ist es der einzige Weg … Ich muss wissen womit ich es zu tun habe und muss die Sachen auch beim Namen nennen. Und da sind wir in unserer Klinik auch gut aufgehoben. Für mich ist es schlimmer irgendwelche Hoffnungen zu schüren und dann wieder in den Abgrund zu fallen. Lieber verarbeite ich das Schlimmste und werde positiv überrascht.

Jetzt war ich allerdings der Bote … der Bote der schlechten Nachrichten … nur weil ich gegooglet hatte. Das kann man doch nicht ernst nehmen? Andy und meine Mutter kamen … in 40 Minuten … sie durften nicht heulend zu Lina rein … würden sie mir und meinem googlen glauben? Nachdem wir erst am Vortag von einer anderen Mutter (mit einem anderen Tumor) gehört hatten, das ein Tumor sich auflösen kann und durch Urin abgesondert werden kann??? Wir waren so voller Hoffnung … wir waren so blauäugig …

Ich schickte folgende Nachricht:

„Ich habe Angst Euch das zu sagen, deswegen schreib ich es lieber, weil ich auch nicht mit der Situation umzugehen weiß. Ich habe heute Nacht gegooglet: ‘Inoperables Ponsgliom’ und was da stand, ist sowas von endgültig. Und genau diese Fragen hab ich jetzt dem Doktor gestellt. Das mit dem Lasern habe ich zu spät gelesen, aber es hätte auch keinen Sinn. Man kann das Ding nicht herausoperieren – das wäre ihr sicherer Tod.

Lina wird über kurz oder lang … aber definitiv… daran sterben. Daran gibt es nichts zu rütteln. Es gibt auch nichts, das der Tumor sich auflöst. Die bestmöglichste Variante ist, das er vorerst nicht mehr wächst. Es gibt weltweit keinen Fall, das ein Kind das überlebt hätte. Es ist eine reine Kinderkrankheit… das ist einfach unfassbar…..

Der Chefarzt hat mir das auch gerade alles genauso bestätigt. Es kommt nur noch darauf an, welchen Grad sie jetzt hat – trotzdem ist es definitiv. Ich schreib Euch das jetzt nur, damit ich Euch das nicht gleich hier vor Lilly und ihr sagen muss. Wir müssen jetzt für sie stark sein und es ihr so schön wie möglich machen.“

 

Wenn ich das mit meinem heutigen Wissen nochmal lese, komme ich mir so unwissend … so naiv … so voller falscher Hoffnung vor – das war vor genau 20 Tagen … ich fühle mich um Jahre gealtert, in Millisekunden.

2 Tage später hatten wir das Ergebnis der Biopsie

WHO Grad 4 – bösartig und schon mutiert.

Die nächsten Worte die ich nie vergessen werde …